: Die Grippewelle rollt
Immer mehr Menschen schniefen und husten – die Influenza ist im Kommen. Bis jetzt besteht allerdings noch kein Grund zu akuter Panik: So schlimm wie vor zwei Jahren ist es noch nicht
VON CLAUDIA ALDENHOVEN
Papst Johannes Paul II. hat sie gerade erst überstanden. Hertha-Regisseur Marcelinho und Günter Grass hat sie gerade niedergestreckt. Das Kanzleramt gibt hingegen Entwarnung: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat zwar eine schwere Erkältung, aber keine Influenza. Glück gehabt. Denn die Grippe richtet ihre Opfer schlimm zu. Schon in der ersten Runde mit Glieder- und Kopfschmerzen, Frösteln und Schweißausbrüchen versetzt ihr hohes Fieber den K.o.-Schlag.
Wie aus dem aktuellen Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI ) hervorgeht, steigen die Grippefälle hierzulande an. Noch lässt sich die Stärke der heranrollenden Grippewelle nicht abschätzen. Zurzeit sind vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Während sich die Lage in Spanien und Portugal bereits wieder entspannt hat, steigt die Zahl der Grippeopfer in der Schweiz, Österreich, Italien, Frankreich und Slowenien.
Bei der Influenza oder Grippe handelt es sich um eine schwere Atemwegsinfektion, die im Gegensatz zur einfachen Erkältung schwere Komplikationen auslösen kann. Die Erreger der Grippeerkrankung sind die hoch ansteckenden Influenzaviren vom Typ A, B oder C. Jedes Jahr im Winter lösen Typ A und Typ B die lokalen Grippeausbrüche aus, während der seltene C-Typ keine schweren Erkrankungen verursacht. In der Regel dauert eine Grippewelle sechs bis acht Wochen. Während Deutschland in der vergangenen Saison weitestgehend verschont blieb, forderte die letzte Grippewelle im Winter 2002/03 in Deutschland mehr als 12.000 Opfer.
Die Grippeviren übertragen sich hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion. Bei den meisten Menschen beschränken sich die schon bald einsetztende Grippebeschwerden auf die oberen Atemwege und dauern einige Tage an. Linderung bringen gängige Erkältungs- und Hausmittel und viel Vitamin C.
Bei geschwächter Immunabwehr braucht der Körper medikamentöse Unterstützung. Neue Virustatika verhindern, dass die Viruspartikel nach dem Austritt aus der Zelle weitere Wirtszellen infizieren können. Sie unterbinden oder verkürzen die Infektion auf ein bis zwei Tage. Die Lungenentzündung sowie die weit häufiger vorkommenden Bronchitis, Nebenhöhlen- oder Mittelohrentzündungen sollten mit Antibiotika behandelt werden.
Wegen der extremen Wandelbarkeit des Virus müssen alljährlich neue Impfstoffkombinationen entwickelt und eingesetzt werden. Über 100 Labors der WHO untersuchen fortwährend die in der Bevölkerung kreisenden Virusvarianten. Davon wählen sie jedes Jahr zwei Stämme vom Virustyp A und eine vom Typ B aus, die in der folgenden Grippesaison am wahrscheinlichsten eine Epidemie auslösen könnten. Der Drei-Komponenten-Impfstoff schützt nur in 70 bis 80 Prozent der Fälle. Tritt ein neuer Influenzastamm in Erscheinung, dann besteht kein Immunschutz und ein neuer Impfstoff muss entwickelt werden. Bei völlig neuen Varianten dauert das mehrere Monate. Viel zu lange, um eine drohende Pandemie im Keim zu ersticken. Bisher jedoch läuft alles nach Plan: Die in Deutschland kursierenden Erreger deckt der aktuelle Impfstoff ab. Zwar ist es in vielen Bundesländern für eine Impfung schon zu spät, aber in manchen Fällen lohnt sie noch. Fragen Sie Ihren Hausarzt.
Die Furcht vor großen Pandemien bleibt. Von den großen Grippewellen des 20. Jahrhunderts war die Spanische Grippe des Winters 1918/19 mit 20 Millionen Toten die schwerste. Die Hälfte der Opfer waren kerngesunde Leute im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Viele Opfer starben innerhalb weniger Stunden nach Auftreten der der ersten Symptome. 1957 wütete die Asiatische Grippe, 1968 die Hongkong-Grippe und 1977 die Russische Grippe. Alle vier Pandemien gingen von Ostasien aus. Reservoir der Grippeerreger sind vor allem wilde Wasservögel. Sie stecken Zuchtvögel wie Hühner an. Die traditionellen chinesischen Geflügelmärkte bieten den Viren vorzügliche Bedingungen, sich in den Vogelarten zu vermischen. In den Hühnern, Enten und Gänsen entstehen neue auf den Menschen übergreifende Erregertypen wie zuletzt 1997 in Hongkong. Nachdem sich 18 Menschen mit einer lebensgefährlichen neuen Influenzavariante angesteckt hatte, befürchtete man eine neue große Pandemie. Um die Epidemie einzudämmen, ließen die chinesischen Behörden das gesamte Hongkonger Geflügel schlachten, über eine Millionen Vögel. Zum Glück stellte sich schließlich heraus, dass der Erreger nicht weit genug mutiert war, um sich direkt von Mensch zu Mensch zu übertragen.
Noch nicht.