piwik no script img

Archiv-Artikel

NRW-Gewerkschaften kuscheln mit Rot-Grün

Arbeitnehmervertreter aus dem Revier zeigen Verständnis für DGB-Chef Sommer, der den Protest gegen die Berliner Reformpolitik abbrechen will. NRW-Gewerkschaften schon längst auf Kuschelkurs mit rot-grüner Landesregierung

RUHR taz ■ Was Michael Sommer vorschlägt, machen die Gewerkschaften an Rhein und Ruhr schon längst. Auf die Ankündigung des DGB-Chefs, den Protest gegen die Arbeitsmarktreformen einzustellen, reagieren die NRW-Kollegen verständnisvoll. „Wir können die Gesetze nicht mehr verändern“, sagt Eberhard Weber, DGB-Vorsitzender im östlichen Ruhrgebiet. „Wir müssen uns damit abfinden“, sagt Werner Kraupner, Gelsenkirchener Sekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG).

Am Wochenende hatte sich der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in einem Spiegel-Interview kritisch mit der aktuellen Gewerkschaftspolitik befasst. Der Weg zu einem Sozialsystem, das nicht mehr den Lebensstandard absichere, sei unumkehrbar eingeschlagen, sagte Sommer. „Das können wir kritisieren, ändern werden wir es nicht mehr.“ Sommer appellierte an die Gewerkschaften, „Schlussfolgerungen“ zu ziehen. Man müsse darüber diskutieren, welche Aufgaben der Sozialstaat künftig noch übernehmen könne.

„Breite Teile der Arbeitnehmerschaft in meiner Region zwischen Dortmund und Hamm haben sich wieder mit Rot-Grün angefreundet“, beschreibt DGB-Regionalchef Weber die Stimmung im östlichen Ruhrgebiet. „Man hat sich mit dem politischen Kurswechsel von Rot-Grün arrangiert.“ Eine Wahlempfehlung für die Mitte-Links-Koalition, wie sie der DGB vor früheren Wahlen abgegeben hatte, befürworte er jedoch nicht: „Ich werde das nicht machen.“ Die Gewerkschaften müssten aber zur Kenntnis nehmen, „dass unsere Positionen in den letzten Jahren nicht in die Politik eingeflossen sind“, bestätigt Weber die DGB-Binnenkritik Sommers. Statt weiter gegen Hartz zu kämpfen, empfiehlt Weber über die „betriebliche Interessenvertretung“ neue Stärke zu gewinnen.

Die Führung der NRW-Gewerkschaften reagierte gestern nicht auf die Sommer-Vorschläge. „Die Kollegen an der Spitze haben doch nie wirklich gegen die rot-grünen Reformen gekämpft“, lästert ein Vertrauensmann der Gewerkschaft ver.di. Der DGB sei „nur noch ein Abklatsch des FDGB“ – des SED-treuen früheren DDR-Gewerkschaftsbundes. DGB-Landeschef Walter Haas und der Ex-IG-Metall-Bezirksleiter und jetzige NRW-SPD-Vorsitzende Harald Schartau hatten schon 2004 das Ende des Streits zwischen Kollegen und Genossen verkündet.

Kritische Stimmen sind selten: „Ich habe wenig Verständnis für den Kollegen Sommer“, sagt Hans Vieregge, IG-Metall-Chef aus Detmold. Mit seinen Äußerungen führe der DGB-Vorsitzende die „Protestbewegung der Arbeitnehmer ad absurdum“. Die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung „ist falsch“. Auch die neue Linkspartei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (ASG) kritisierte den DGB-Chef. Die Haltung von Michael Sommer sei „ein Schlag ins Gesicht von Gewerkschaftsmitgliedern und Millionen von Menschen, die mit dieser Kahlschlagspolitik unzufrieden“ seien, teilte ASG-Vorstandsmitglied Sabine Lösing mit. Diese „Millionen“ sehen offenbar auch in der ASG keine Alternative. Laut einer aktuellen Infratest-dimap-Umfrage zur NRW-Landtagswahl am 22. Mai liegt die Linkspartei im „nicht messbaren“ Bereich unter zwei Prozent. MARTIN TEIGELER