Endlich einmal erwachsen

In „Lost Children“ (Panorama) erzählen die Regisseure Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz von der schwierigen Resozialisierung von Kindersoldaten. Sie sehnen sich zurück in den Busch, und Städte bleiben ihnen fremd

Vielleicht verlangt das Weiterleben, die Traumatisierung des Krieges auszublenden

Einmal muss der kleine Opio richtig herzhaft lachen. Der Achtjährige hat gerade erzählt, wie er mit anderen Kindern als Kämpfer der ugandischen Rebellen gezwungen wurde, jemandem den Kopf zu zerschmettern und das Hirn zu essen. Und da fragt sein schockierter Interviewer hinter der Kamera, ob das Gehirn denn vor dem Essen gekocht worden sei. „Gekocht!?“, wundert sich Opio und kann sich kaum noch halten vor Lachen. Was diese Weißen sich alles vorstellen. Nein, man habe den Schädel ganz sauber ausgeleckt natürlich.

Der Dokumentarfilm „Lost Children“ erzählt von vier Kindersoldaten im Norden Ugandas im Dienst der LRA (Lord’s Resistance Army), eine der brutalsten Guerillagruppen der Welt. Den Roten Khmer in ihrem Nihilismus und ihrem Willen zur Zerstörung sämtlicher bestehender sozialer Zusammenhänge ähnlich, entführt die von Sudan unterstützte LRA kleine Kinder und drillt sie mit Psychoterror zu Kämpfern und Sklaven. Immer wieder kommen manche davon bei Armeeangriffen frei und landen in Auffanglagern, wo dann mühevoll wieder versucht wird, aus ihnen normale Menschen zu machen, die einen Platz in der Gesellschaft finden. Der Film entstand im Auffanglager Pajule zwischen Herbst 2003 und Frühjahr 2004, in langwieriger, geduldiger zehnwöchiger Annäherungs- und Dreharbeit auf Digitalvideo, um nicht aufzufallen.

Die Geduld prägt den Film. Ganz unmerklich schälen sich die Geschichten heraus, die „Lost Children“ dann weitererzählt: vom kecken, naiven Opio, der Hirn löffeln kann und schließlich glücklich wie ein Baby im Schoß seiner Mutter landet; vom nachdenklichen Kilama, dessen Reintegration ihn vom souveränen Warlord zum Quasi-Obdachlosen degradiert; vom ruhigen Francis, der sich neu erfinden muss, um akzeptiert zu werden; und von der ratlosen Jennifer, die an den Spannungen mit ihrer Familie fast zerbricht. Dieser Film setzt trotz des Horrors nicht auf Effekte. Die Regisseure Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz verfolgen einfach den Weg dieser kriegsgeschädigten Kinder durch eine selbst kriegsgeschädigte Gesellschaft, die mit diesen Kindern nicht zurechtkommt. Und nie ist klar, ob der Weg zu Ende ist.

Sie wollen wieder Kinder sein, behauptet Stoltz, der selbst in Namibia während des Unabhängigkeitskrieges aufwuchs, über seine Helden. Der Film spricht eine andere Sprache. Je undurchdringlicher das Dickicht der Städte wird, in denen die Kinder landen, desto mehr sehnen sie sich nach dem Busch zurück, dem wilden Leben als Rebellen. Sie blenden die Kriegstraumatisierung aus – vielleicht ist nur so das Weiterleben möglich, nachdem man Freunde und Verwandte umbringen musste, und die Gesellschaft will ja gar nicht so genau wissen, was sie da alles gemacht haben. „Im Busch lernte ich so viele Dinge“, erinnert sich Kilama. „Jetzt will ich einfach erwachsen werden.“ Zurück bleibt ein ungutes Gefühl: So entsteht in Uganda kein Frieden.

DOMINIC JOHNSON

„Lost Children“, 15. 2., 14.30 Uhr, 18. 2., 12 Uhr CineStar 7. Morgen treten die Regisseure zusammen mit den Grünen-Politikerinnen Kerstin Müller und Claudia Roth und Experten zu einer Podiumsdiskussion auf: 16. 2., 19 Uhr, Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe.