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Archiv-Artikel

Die Rache der Familie Fußangel

Wie Peter Hacks mit Heiner Müller darum stritt, wer der größte Dramatiker der DDR ist, und mit Heinar Kipphardt über Ästhetik debattierte: Zwei neue Bücher versammeln Anekdoten um Peter Hacks sowie seinen Briefwechsel mit Heinar Kipphardt

Peter Hacks hat das Wirken Heiner Müllers immer kritisch begleitet

VON JÖRG SUNDERMEIER

Eine Geschichte, zweimal erzählt. Unter dem Pseudonym „Pasiphaë“, hinter dem sich, wie man annehmen darf, Peter Hacks verbirgt, erschien vor zwei Jahren, kurz vor seinem Tod, ein Buch mit „Anekdoten über Peter Hacks“. Darin findet sich auch „Ein Zwischenfall bei Inge Müllers Beerdigung“, der sich so zutrug: „Die Trauergäste wandelten nicht unvergnügt den Hauptweg des Friedhofs hinunter, und Hacks’ Blick fiel auf einen Grabstein, der am Rand stand und die Inschrift trug ‚Hier ruht die Familie Fußangel‘. Er machte die Umihnschreitenden auf den possierlichen Text aufmerksam; alle, außer Hacks, lachten herzlich, und Hacks hielt es für unangemessen, dass ausgerechnet er es war, den seine Frau albern fand. Am Grabe aber öffnete sich zwischen dem Sarg und dem leidtragenden Dichter Müller eine schicksalhafte Senke, eine Erdgrube, die alle, die Müller kondolierten, stolpern machte. Die Person, die endlich ganz und gar hinfiel, war eine Dame in Stöckelschuhen; auf ihren Sturz hin reagierte Hacks mit dem unwillkürlichen Ausruf: Das war die Rache der Familie Fußangel! Es wurde wieder gut gelacht, Hacks’ Frau genierte sich wieder, und Hacks hat hiernach keine Ausnahme mehr bei seiner Verweigerung aller Bestattungsfeierlichkeiten gemacht.“

Selbst wenn Hacks sie nicht selbst verfasst haben sollte, ist davon auszugehen, dass die Anekdote ihm außerordentlich zupass kam. Dabei ist sie an sich stinklangweilig, wenn nicht überflüssig, ja, sie stößt informierte Leserinnen und Leser sogar ab. Denn Inge Müller, deren Ehe mit Heiner Müller, die Hacks zutreffend als eine „Kette von Anschlägen der Eheleute gegeneinander“ bezeichnete, suchte ihren engen Freund Hacks noch kurz vor ihrem Selbstmord auf.

Sinn macht diese Anekdote nur vor dem Hintergrund, dass wiederum Müller jenes Begräbnis nutzte, um den ehemaligen Freund Hacks zu demütigen. In „Krieg ohne Schlacht“ heißt es: „Bei der Beerdigung habe ich mir Peter Hacks endgültig zum Feind gemacht. Ich stand da so ungünstig, und alle mussten mir kondolieren, und Hacks stolperte über eine Unebenheit und fiel vor mir auf die Knie. Natürlich durfte niemand lachen. Es waren viele Leute da, viele Schauspieler.“

Die Germanistik mag darüber streiten, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Viel bezeichnender ist das Selbstverständnis der beiden großen Dramatiker, das die beiden Geschichten spiegeln. Ob nun Gattin oder Freundin, in ihrem Konkurrenzkampf wird die Verstorbene zum Anlass für einen eitlen Hahnenkampf.

Hacks hat Müller nicht gemocht – „Müller kann nichts, weiß nichts, ist nichts“ –, und Müller mochte Hacks nicht. In den Fünfzigerjahren noch Freunde, waren beide verfeindet, seit es um die Frage ging, wer denn nun der „größte Dramatiker der DDR“ sei. So zumindest die Legende. Doch Hacks hat das Wirken Müllers immer kritisch begleitet. Im letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Interview meinte er, Müller habe „sein Frühwerk radikal verleugnet, hat seinen Frieden mit der SED, mit der Stasi, mit dem Regietheater, mit dem Modernismus gemacht. Die Leute, die er fortan bestahl, waren plötzlich der Comte de Lautréamont oder der Engländer, bei dem sie immer ihre Kinder fressen, Mister Bond. Müller ist mit einem Bruch abgegangen. Er wollte nicht von Kommunisten ernst genommen werden. Er wollte vom Broadway ernst genommen werden.“

Ein anderer Kollege und Ex-Freund, der vom Broadway ernst genommen werden wollte (und wurde), war Heinar Kipphardt. Anders als Müller jedoch begleitete Kipphardt bis zu seinem frühen Tod 1982 seinen Freund Hacks aufmerksam, auch dann noch, als der Kontakt abgebrochen war. Kipphardt und Hacks waren zwei Künstler, die sich auf einem hohen intellektuellen Niveau vortrefflich stritten und über ästhetische Fragen in einer Weise diskutierten, die ihresgleichen sucht. Die beiden anderen bislang veröffentlichen Hacks-Briefwechsel – der eine mit dem Schriftsteller André Müller („Nur daß wir ein bißchen klärer sind“, 2002), der andere mit dem früh vollendeten Ronald M. Schernikau („Dann hätten wir noch eine Chance“, 1992) – zeigen Hacks im Dialog mit Anhängern. Der respektvolle Abstand erlaubt den Briefpartnern wenig Kritik, ebenso hält sich Hacks mit Kommentaren zurück. Man kennt und schätzt sich, manches über den Mann, doch nur weniges über den Dichter Hacks wird bekannt. Der Briefwechsel zwischen Kipphardt und Hacks hingegen, der nun unter dem Titel „Du tust mir wirklich fehlen“ veröffentlicht wurde, gewährt einen wunderbaren Einblick in die jeweilige Arbeitsweise.

Heinar Kipphardt, Psychologe und Schriftsteller, hatte mit seinem Stück „Shakespeare dringend gesucht“ frühen Erfolg in der DDR, in die er – so wie Hacks sechs Jahre später – 1949 freiwillig ging, entschlossen, sich am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen. Kipphardt verließ die DDR jedoch zehn Jahre später, feierte mit seinem Dokumentarstücken „Joel Brand“, „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ und „Bruder Eichmann“ Erfolge und sorgte mit seinem Roman „März“ für Aufsehen. Heute allerdings sind die meisten seiner Bücher nicht mehr lieferbar und die Werkausgabe ist weitgehend vergriffen. In letzterer fand sich auch der Briefwechsel mit Hacks in einer ersten Version – die jetzige, vollständige Einzelausgabe ist nur um wenige Fundstücke ergänzt, und man muss einräumen, Peter Hacks, der die Herausgabe ja schon zu seinen Lebzeiten zuließ, hat nichts geschönt. In dem Briefwechsel, der auf einer engen Freundschaft beruht, gehen sich beide Autoren heftig an.

Hacks schreibt 1964 an Kipphardt: „Der Joel Brandt, dieses Scheiß-Stück, war spannend, reinlich gemacht und nervenerschütternd. Aber alle Deine Theorien sind ganz blöde. Deine Berichte berichten nichts, und das Publikum kann sich nichts denken. Nämlich: Zu einer Beurteilung von Handlungen braucht man Urteile über Sachverhalte. Um ein Urteil über Sachverhalte zu fällen, muss man lange Zeit studieren. Das hast Du getan, aber Du verrätst nicht, was du herausgefunden hast.“ Da Kipphardt nicht auf die wichtigsten Fragen eingehe, sondern nur Dokumente versammele, ist sein Stück für Hacks nicht etwa nur ein Sammelsurium: „Niemand kann also urteilen. Übrig bleibt die Vermutung, das die Welt traurig und verworren ist.“ Damit verabschiede sich Kipphardt von jeder ernsthaften politischen Dramatik. Hacks trifft damit den wunden Punkt im Kipphardt’- schen Schaffen – mit der Hinwendung zu einem bürgerlichen Publikum hatten die Stücke, mit denen Kipphardt weiterhin politisch brisante Themen aufgriff, plötzlich einen Großteil ihres belehrenden, aufklärerischen Anspruchs eingebüßt. Die Atombombe oder die Zustände in der Psychiatrie wurden zur Kulisse für eine schaurige Unterhaltung.

Kipphardt spart ebenfalls nicht mit Kritik, auch wenn er verhaltener ist. Denn auch er hat mit seiner Replik auf die Einwände von Hacks Recht: „Die Sorte von Urteilen, die du von mir zu verkaufen verlangst, sind unverkäuflich, denn sie sind langweilig wie die Resultate von Rechenaufgaben. Sogar ein Rechenkünstler interessiert nur Trotteln. Das Interessante an einem Resultat sind die Rechenverfahren, die zu ihm geführt haben, denn die sind benutzbar für andere Rechenaufgaben. Ein Resultat, das man selber herausgefunden hat, ist was ganz anderes als ein vorgekautes, das die Verfahrensweise nicht liefert.“

Und er formuliert nicht ohne Neid einen Vorwurf, der Hacks’ Arbeitsweise bestens charakterisiert, indem er meint, Hacks habe seinen Stil bereits gefunden. Kipphardt, intellektuell nicht weniger redlich, allerdings zweifelnder, ungefestigter, leidet immer wieder unter Schreibhemmungen, während Hacks – auch das ist Teil seiner Lebensphilosophie – heiter weiter schreibt. Die Autoren ermuntern sich gegenseitig, streiten sich leidenschaftlich, bis man sich schließlich – nicht nur wegen der Biermann-Ausbürgerung – des Verrats (Hacks) und der Paranoia (Kipphardt) bezichtigt.

Heute sind beide Dichter nicht mehr besonders gelitten. Hacks etwa wurde nach seinem Tod vor anderthalb Jahren bestenfalls als „einer der meistgespielten zeitgenössischen Autoren der 70er-Jahre“ (Stuttgarter Zeitung) geschmäht, als Stalinist beschimpft oder aber – ganz süffisant – als „Kinderbuchautor“ gelobt. Die Hacks-Werkausgabe von 2002 und die wunderbaren „Hundert Gedichte“ aus dem letzten Jahr zeigen jedoch, dass man es hier mit einem Klassiker der deutschen Literatur zu tun hat. Wer schreiben lernen will und nicht einfach nur um Zustimmung buhlt, kommt nicht umhin, den Briefwechsel von Hacks und Kipphardt zu lesen.

Peter Hacks, Heinar Kipphardt: „Du tust mir wirklich fehlen“. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2004, 156 S., 12,30 €ĽPasiphaë: „Was ist das hier? 130 Anekdoten über Peter Hacks und dreizehn anderweitige“. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003, 96 S., 9,90 €