Warum ist der Chef so blöd?

Hans-Georg Huber ist Psychologe und Coach für Führungskräfte. Er kennt den Chef. Kennt die Klagen. Teilt sie. Aber, sagt er: „Der Chef ist auch ein Mensch“

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Herr Huber, der Chef gilt ja meistens als unfähig und blöd. Aber grade ganz besonders. Eine echte oder eine Imagekrise?

Hans-Georg Huber: Beides. Einmal ist durch die veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen Führung deutlich komplizierter geworden. Für nachhaltig erfolgreiche Führung braucht es ein ganzheitliches Verständnis von Zusammenhängen. Wer sich z. B. nur an Zahlen orientiert und dabei die Menschen aus den Augen verliert, gewinnt kurzfristig und verliert langfristig.

Nach Untersuchungen gehen die Mitarbeiter davon aus, dass sie nur zwei Prozent der Chefs am Herzen liegen.

Für viele Mitarbeiter sind Macht und Verantwortung nicht mehr erkennbar miteinander verbunden. Wir erleben einen massiven Verlust von Glaubwürdigkeit und Autorität bei Führungskräften. Beides muss sich eine Führungskraft tagtäglich aufs Neue durch ihr Handeln verdienen, dann gibt es hoch motivierte Mitarbeiter. Wer hingegen keine Glaubwürdigkeit hat, der muss die Machtkarte spielen, Druck erzeugen und die Peitsche schwingen, damit die Menschen sich bewegen.

Wenn dem aber so ist …

… kann man sich ja ausrechnen, welche Konsequenzen schlechte Mitarbeiterführung langfristig im Unternehmen hat, was sie sowohl an echtem Engagement und Commitment der Mitarbeiter vernichtet, als auch an wirtschaftlicher Erfolgsperspektive. Leider sind Unternehmens- und Führungskultur keine Bilanzpositionen, obwohl sie maßgeblich über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens entscheiden. Wobei auch die beste Führung nichts daran ändert, dass manche Unternehmen Kosten senken müssen und an das Einkommen der Mitarbeiter herangehen.

Wer kriegt etwas weggenommen und fühlt sich motiviert?

Voraussetzung ist die Einsicht in die Notwendigkeit und die Erkenntnis, was dadurch sichergestellt wird. Damit sind wir wieder beim Thema Glaubwürdigkeit. Haben die Mitarbeiter den Eindruck, von ihren Einbußen werden dann die hohen Abfindungen ihrer Vorstände bezahlt, ist es für sie nicht nachvollziehbar. Ich hatte gerade eine Diskussion mit Führungskräften eines großen internationalen Konzerns. Die sagten: Wir können mit unseren deutschen Löhnen nicht mehr mithalten in der Globalisierung. Ich sagte: Ja, das verstehe ich. Nur: Wenn ihr den Menschen jetzt Geld wegnehmt, was gebt ihr ihnen stattdessen? Schweigen. Wenn man sich darüber keine Gedanken macht, wird die stille Reserve eines Unternehmens kleiner: das Engagement der Mitarbeiter. Dann blutet das Unternehmen innerlich aus.

Welcher Wert ersetzt das Weihnachtsgeld?

Das kann man nicht allgemein, aber individuell beantworten. Die generelle Frage ist, in welchen Währungen wir eigentlich bezahlt werden wollen.

In Euro?

Sehr witzig. Meine Erfahrung ist, dass Geld und Existenzsicherung natürlich eine Rolle spielt, aber für viele Menschen nicht die allein entscheidende. Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Produkten, Freude an der Arbeit, Gestaltungs- und Verantwortungsbereiche, eine gute Unternehmenskultur, Entwicklungsmöglichkeiten sowohl persönlicher als auch fachlicher Art, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das sind Währungen, die Menschen etwas bedeuten.

Sagen wir, ich arbeite bei VW in Wolfsburg. Was motiviert mich? Die Vier-Tage-Woche?

Die Vier-Tage-Woche ist kein Wert.

Sie wertet die Freizeit auf, das Familienleben.

Die Frage ist, warum wollen Menschen tendenziell immer weniger arbeiten und immer mehr Geld dafür bekommen? Und führt dies zwangsläufig zu höherer Zufriedenheit? Ich glaube, dass ein Sinnverlust stattgefunden hat. Berufstätigkeit verursacht zunehmend mehr Menschen Bauchschmerzen, die persönliche Bilanz zwischen Geben und Nehmen stimmt nicht mehr. Dann wird ein immer größerer Teil des Gehalts zu Schmerzensgeld. Aber ist es wirklich das, was die Menschen wollen?

Die Französin Corinne Maier preist in ihrem grade erschienenen Buch „Die Entdeckung der Faulheit“ die innerliche Kündigung als positives Arbeitsmodell. Tenor: So wenig wie möglich arbeiten und bloß nicht auf das Kapitalisten-Gesülze von den Werten hereinfallen.

Ich kann verstehen, dass Menschen, die sich von ihrem Unternehmen schlecht behandelt fühlen, mit gleicher Münze zurückzahlen wollen. Was man dabei jedoch nicht übersehen darf: Ich schädige damit auch meine Kollegen und vor allem auch mich selber.

Wieso?

In dem Maße, indem ich meine Fähigkeiten und mein Engagement zurückhalte, versage ich mir etwas sehr Kostbares: aktiv gestaltend am Leben teilzunehmen, mich auszuprobieren und mich weiter zu entwickeln. Passivität ist mehr als nur Stillstand, sie frisst das eigene Selbstwertgefühl auf.

Welchen Wert bieten Sie den Leuten an, denen der ganzen Arbeitsplatz weggenommen wird, Herr Huber?

Respekt, Wertschätzung und Perspektive.

Wenn in der Zentrale entschieden wird …

… wir bauen 2.800 Arbeitsplätze ab, dann ist es für diejenigen, die diese Entscheidungen treffen, emotional noch relativ einfach. Die, die sie in ihrer Abteilung ausführen müssen, befinden sich in einem echten Dilemma, weil die müssen den Menschen Aug’ in Aug’ gegenübertreten und die wissen natürlich zum Teil auch, was es für diese Menschen konkret bedeutet, materiell, emotional, sozial.

Aber Teil des Jobs?

Ja. Eine gute Führungskraft muss das aushalten.

Aber sich nicht von Gefühlen leiten lassen?

Nein, weil sinnvolle Entscheidungen manchmal trotzdem sehr weh tun können. Wenn das dem Chef nicht weh tut, dann hat er in meinen Augen ein Problem. Es bedeutet, er hält seinen Job nur aus, wenn er sich von seinen Gefühlen auch abschneidet. Wir brauchen aber in Führungspositionen Menschen, die fühlen können.

Wir haben keine. Sondern nur Chefs, die sich mit ihrer Arbeit beschäftigen, aber nicht mit den Menschen. Heißt es.

Stimmt auch. Im Prinzip. Wir haben zu wenig in den richtigen Positionen. Es gibt eine ganz klare Tendenz, dass Leute mit der passenden Persönlichkeit und Haltung sagen, das tue ich mir nicht oder nicht mehr an.

Wo sind diese potenziellen Superchefs?

Wir brauchen keine Superchefs. Wir brauchen verantwortliche denkende, fühlende und handelnde Menschen als Führungskräfte. Ich kenne viele. In jedem Seminar, das ich mache, sind welche dabei.

Die sagen Ihnen: Chef? Ich bin doch nicht blöd!

Ja, weil es für sie bedeutet, sie müssen Teile ihrer Werte, ihrer Persönlichkeit abgeben. Und der Preis ist ihnen zu hoch. Und die Gegentendenz ist, dass es zunehmend mehr karrierefixierte Menschen gibt, die machen es, die sind bereit, jeden Preis zu zahlen, bringen aber nicht die Persönlichkeit für gute Menschenführung mit.

Was bringt ein guter Chef, wenn er seine positive Persönlichkeit nicht einbringen kann, weil das Unternehmen es nicht zulässt?

Das wird häufig als Alibi benutzt, um nicht anzuecken. Jeder Mensch kann in seinem Verantwortungsbereich etwas bewirken. Es liegt auch daran, ob jemand Mut dazu hat. Wir brauchen keine Abnicker, sondern Menschen, die auch mal Stopp sagen können. Wir erleben häufig Leute in Seminaren, die sagen: „Sie haben ja Recht, aber sagen Sie das mal meinem eigenen Chef!“ Wo ich meist sage, okay, ich bin bereit mit Ihnen zu jammern, wenn Sie mir versichern, dass sie alles gemacht haben, was in ihrem Bereich möglich ist. Und dann bestätigen in der Regel alle, dass sie es nicht tun.

Heißt?

Entwicklung fängt immer bei dem einzelnen Menschen an. Ich kann Entwicklung nur einfordern, wenn ich bereit bin, mich selber zu entwickeln.

Wie finden Sie Trigema-Chef Wolfgang Grupp? Der sitzt in einem Raum mit den Mitarbeitern. Sehr symbolisch.

Es dokumentiert, dass im mittelständischen Unternehmen der Chef näher an den Menschen dran ist. Wenn man mitkriegt, was das eigene Handeln wirklich auch für Folgen hat, da geht man anders damit um. Chefsein braucht ein Korrektiv – und das beste Korrektiv ist, sich wirklich noch von Menschen berühren zu lassen.

In Riesen-Konzernen …

… braucht man etwas, das stärker ist, als ein einzelner Mensch. Das ist eine Unternehmenskultur, die wirklich gut und gesund ist. Das sind z. B. echte Leitbilder. An diesen Leitbildern muss sich dann jeder messen lassen, auch der Chef.

Dann geht man hin und sagt: Lieber Chef, wie du hier rumtobst, das passt nicht zu uns.

Jetzt übertreiben Sie. Aber wenn die Kultur eines Unternehmens nicht aufgesetzt ist, sondern echt, kann man das tatsächlich relativ angstfrei machen.

Wie finden Sie Jürgen Klinsmann, den neuen Chef des deutschen Fußballs?

Gut. Man sieht: Es ist einiges rauszuholen, wenn ich eine Umgebung schaffe, in der sich die Leute wohl fühlen, motiviert sind, sich weiter zu entwickeln und sich für gemeinsame Ziele engagieren.

Deutschland wird niemals Weltmeister.

Das ist nicht das Entscheidende.

Klinsmann formuliert den Anspruch, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein.

Genau. Darum geht es. Dass sie es probieren, dass sie sich dafür engagieren, dass jeder sein Bestes dazu beiträgt, das ist ja allein schon ein Gewinn. Da sind auch Werte mit drin, wenn man so will. Da sieht man übrigens auch, dass so eine Vision über den Egoismus des Einzelnen hinausgeht.

Was lernen wir daraus?

Es braucht die Verknüpfung von Entscheidungs- mit Sozialkompetenz, von Macht mit Verantwortung, von Führung mit Glaubwürdigkeit, von Engagement mit attraktiven Zielen. Wir brauchen Menschen, die mit Menschen umgehen können.

Sie glauben an das Gute im Chef?

Ich glaube an das Gute in allen Menschen. Und der Chef ist auch ein Mensch.