DIE ERINNERUNG AM STEUER
: Rausschauen

Ein schmutziges Licht empfängt uns

Berlin, vom Auto aus gesehen: schön. Selbst so tote Straßen wie die Stralauer mit ihren finsteren Bunkergebäuden wirken erhaben, so vom Beifahrersitz aus. Ich fahre mit der Sexkolumnistin durch die Stadt. Sie teilt sich mit ihrer Schwester einen Opel Corsa. Rot. Im Auto hört sie Lenny Kravitz. Während also der Soundtrack zu meiner zweiten Jugendliebe durch die Trichterboxen wispert, unterhalten wir uns über einen zu machenden Blog und zählen die sieben Todsünden (Völlerei, Wollust, Habsucht, Zorn, Neid, Trägheit, Hochmut) auf. Die Kolumnistin fährt vorsichtig. Beschwert sich über die „Sonntagsfahrer“.

Passenderweise ist auch Sonntag. Ich betrachte ihre weißen Arme, sie sehen trainiert aus. Sie redet weiter, redet über den Blog, der von uns redaktionell zu betreuen wäre, wir kommen nicht aus Bayern und sagen also „der Blog“ statt „das Blog“. Ich höre manchmal nicht zu. Aus einer Seitenstraße kommt ein weißes Auto, das ein rotes Sofa auf dem Dach hat. Wir machen Witze. Wir fahren um die neuen, schönen Baustellen Mittes herum.

Ich erinnere mich, dass bei meinem dritten oder vierten Besuch in der Stadt unser Gastgeber uns mit seiner Blechkiste vom Ostbahnhof abgeholt hat. Danach gab es erst mal eine Sightseeing-Tour: mit dem Auto zum Alex, mit dem Auto zum Potsdamer Platz, mit dem Auto um die Siegessäule, dann um das Brandenburger Tor herum. Berlin in einer halben Stunde und alles Wichtige gesehen. Durchs Brandenburger Tor bin ich auch mal selbst gefahren – in einem taxifarbenen Mercedes, damals, als keine Autos mehr, aber noch Taxis durchs Tor durften. Es war ziemlich beeindruckend. Ich werde sentimental, die Kolumnistin hat einen Parkplatz gefunden, wir wollen Kaffee trinken gehen. Außerhalb des Autos wirkt die Stadt staubig. Ein schmutziges Licht empfängt uns, und ein heftiger Platzregen setzt ein. RENÉ HAMANN