DIE GRÜNEN FINDEN KEINE POLITISCHE ANTWORT AUF DIE VISA-KRISE
: Mehr als eine CDU-Kampagne

Was führende Grüne derzeit zur Visa-Affäre sagen, ist schwer erträglich – vor allem, da diese Partei die Wahrung der Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Organisierte Zwangsprostitution ist keine Marginalie. Es zeugt von einem bedrückenden Menschenbild, wenn jemand meint, die Frage, ob sie durch die Einreisepolitik befördert worden sei, lasse sich unter den Rubriken „Machtkampf“ und „Kampagne der Opposition“ abhandeln.

Außerdem spricht es nicht gerade für politisches Selbstbewusstsein. Je länger sich die Grünen der inhaltlichen Debatte verweigern, desto mehr Oberwasser bekommen diejenigen, die behaupten, die Förderung organisierter Kriminalität sei eine zwangsläufige Folge von liberaler Einreisepolitik. Nun ist Freiheit tatsächlich immer mit Risiken verbunden. Dass eine Demokratie größere Probleme bei der Kriminalitätsbekämpfung hat als eine Diktatur, ist keine neue Erkenntnis. Allerdings verfügt auch ein liberaler Staat über Zwangsmittel.

Wer die jüngsten Diskussionen verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, sobald ausländische Kriminelle erst einmal die Grenze passiert haben, sei das Land ihnen völlig hilflos ausgeliefert. Das ist seltsam. Die Polizei hierzulande ist gut ausgebildet. Wieso sollte es eigentlich nicht möglich sein, Zwangsprostitution und Schlepperwesen mit herkömmlichen, rechtsstaatlichen Methoden zu bekämpfen? Niemand behauptet, dass das einfach sei. Aber es ist auch nicht unmöglich.

Natürlich wäre es erfreulich, es kämen gar keine Kriminellen ins Land. Noch erfreulicher wäre es, wenn es überhaupt keine gäbe. Aber es geht bei politischen Entscheidungen nicht um die Herstellung paradiesischer Zustände auf Erden, sondern um Güterabwägungen. In diesem Fall um die Frage, ob das Bedürfnis nach Sicherheit es rechtfertigt, sich von der Außenwelt so weit wie irgend möglich abzuschotten und jeden Ausländer unter Generalverdacht zu stellen.

Vor allem der internationale Terrorismus hat ein Klima begünstigt, in dem diese Frage gerne bejaht wird. Umso notwendiger wäre es, dass die Grünen, die auf eine Tradition liberaler Ausländerpolitik zurückblicken, die Diskussion nun offensiv führen. Statt sich wegzuducken. BETTINA GAUS