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Archiv-Artikel

Die wilden Zeiten sind vorbei

Vor vier Jahren war Visakorruption bei EU-Botschaften auf dem Balkan ein offenes Geheimnis. Heute hilft der kroatische Pass – gegen Bares natürlich

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

„Können Sie mir helfen? Mein Sohn braucht unbedingt ein Schengenvisum.“ Anrufe dieser Art sind für Journalisten in Regionen, wo die Reisefreiheit in die EU beschränkt ist, nicht selten. Der kosovo-albanische Anrufer rechnete in diesem Fall damit, dass Journalisten enge Kontakte zu den Botschaften ihrer Heimatländer unterhalten. In seiner Gesellschaft sind „Beziehungen“ eben alles. Doch er zeigte mit seinem Anruf auch, dass es für ihn, der zu den reichsten Männern der Region gehörte, nicht möglich schien, über andere Wege an das begehrte Papier zu kommen.

Er hat wohl eingesehen, dass der Journalist da nicht weiterhelfen konnte und doch noch einen anderen Weg gefunden. Als drei Monate später die Nachricht kam, er sei mit seiner gesamten Familie nach Italien ausgereist, war eine erste Spur für Korruption in den EU-Botschaften gelegt. Damals, im Jahre 2001, bildeten sich vor der deutschen Botschaft in der mazedonischen Hauptstadt Skopje, die auch für das Kosovo zuständig war, lange Schlangen. Für 500 Dollar könne man ein Visum kaufen, hieß es. Ein mazedonischer Reiseunternehmer wurde als Anlaufstelle genannt. Doch natürlich leugnete er jegliche illegale Tätigkeit. Die mit Visahandel beschäftigte kriminelle Szene hält dicht, sie ist auf einander angewiesen.

In Sarajevo wusste vor vier Jahren jeder, der es wissen wollte, dass man Visa in die EU kaufen könne. Auch die deutsche Botschaft stand im Brennpunkt des Interesses. Angesichts der Kürzungen beim Botschaftspersonal und der Einstellung vieler lokaler Mitarbeiter in den Botschaften aus EU-Ländern in Sarajevo wie in Skopje kam es zu Unregelmäßigkeiten. Ganz sicher, was die „Regie der Warteschlangen“ betraf. Manche wurden für ein gewisses Entgelt eben schneller abgefertigt als andere. Das konnte Wochen des Wartens sparen. Dass bei solchen Geschäften auch Diplomaten ihre Hände im Spiel hatten, konnte und kann bis heute niemand gänzlich ausschließen.

Doch insgesamt gesehen sind auf dem Balkan die „wildesten Zeiten“ vorbei. Das hat damit zu tun, dass die Antragsteller, zumindest, was die deutsche Praxis angeht, in verschiedene Kategorien eingeteilt sind. Das Gros der Besucher will nach wie vor ihre während des Krieges geflohene Familie besuchen. Der Andrang ist groß. Und manche Antragsteller wollten offenbar nicht nur Verwandte besuchen, sondern in Deutschland schwarzarbeiten. Die deutschen Behörden wurden misstrauisch. Als ruchbar wurde, dass manche Personen in Deutschland mehrere hundert Garantieerklärungen für Menschen aus Bosnien abgegeben hatten, wurde die Praxis der Visaerteilung verändert. Seit Anfang 2004 müssen die Einladenden ihr Einkommen und ihren Status bei der deutschen Polizei nachweisen. Erst wenn dies geschehen ist, können die in Bosnien lebenden Einzuladenden mit dem dann erstellten Papier zur Botschaft in Sarajevo gehen. Die kann dann erst nach Prüfung weiterer Unterlagen und dem Abschluss einer Versicherung die Visa erteilen.

Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Geschäftsleute, Bus- und Lkw-Fahrer, die Anspruch auf ein Jahresvisum haben. Diese Anträge werden nach Angaben der deutschen Botschaft in Sarajevo sorgfältig geprüft. So sorgfältig, dass der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, die Sorge ausdrückte, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes könne bei allzu restriktiver Praxis behindert werden. Ashdown forderte die EU Anfang 2004 bisher ohne Erfolg auf, im Falle Bosnien den visafreien Verkehr einzuführen, wie er mit Kroatien schon seit Ende der Neunzigerjahre üblich ist.

Die Korruption um die Visa hat sich nach Kroatien verlagert. Nicht nur den in Bosnien lebenden bosnischen Kroaten, sondern auch zehntausenden bosnischen Muslimen und Serben ist es gelungen, einen kroatischen Pass zu „erwerben“ und damit allen Visabeschränkungen der EU zu entgehen. 20 Prozent der bosnischen Bevölkerung sollen nach offiziellen Angaben bereits die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.