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Archiv-Artikel

Kindische Freude an der Kunst

Unterschätzter Hang zur Innerlichkeit: Statt politische Assoziationen zu wecken, verursacht Santiago Sierras „Haus im Schlamm“ bei den Besuchern der Hannoveraner Kestnergesellschaft kollektive Rückfälle ins primäre Ichgefühl

Von bes

Es macht sich bemerkbar. Wie es, was es, wo es? Nein, nein, weder wie, noch was, sondern schlicht Es. Also das dunkle Reich außerhalb des Ichs, Stichwort Freud und die anale Phase – matschen, in die Hose machen und es für sich behalten, bis die Spitze des Scheißbergs ans Tageslicht kommt. Womit wieder die Frage nach dem Wo bedeutsam wird: In Hannover, genauer in der Kestnergesellschaft, und noch genauer: Nicht nur im Parterre, wo Santiago Sierra die Räume mit erklecklichen Mengen feinsten Schlamms präpariert hat (taz nord berichtete). Sondern auch in der ersten Etage.

Es ist schon so: Die Installation „Haus im Schlamm“ ist tatsächlich auf Interaktion mit watenden Besuchern angelegt. Allerdings hat der spanische Star-Künstler offenbar der Deutschen Hang zur Innerlichkeit unterschätzt. Während Sierra eine präzise historisch-politische Referenz im Sinne hatte, als er das Museum mit Modder füllte, brach sich in den Besuchern am ersten Wochenende etwas ganz anderes Bahn: Das primäre Ichgefühl. Welcher unein- und ausgestandene Konflikt ist schuld? Mamas fehlender Schwanz, Papas zu langer Schwängel? Das ist komplett egal. Totales Rebirthing jetzt!, die falschen Hemmungen abgelegt und volle Suppe rin in diese Urgrundsymbolik.

„Es waren auf keinen Fall nur Kinder“, dementierte eine Sprecherin der Kestnergesellschaft einschlägige Meldungen der deutschen Presseagentur. Die Spuren, die von den Schlamm-Sälen im Parterre durchs ganze Haus geführt hätten, ließen eine solche Deutung nicht zu, denn Kinder würden „ja nicht Sprüche wie ‚Deutsche kauft nur deutsche Bananen‘ an die Wand schreiben“.

Mittlerweile sind die Wände neu geweißt. Und um künftig nicht mehr von Therapiebedürftigten als Anlaufstelle missbraucht zu werden, hat das Museum drakonische Regeln erlassen: Den Matsch begehen darf jeweils nur noch ein Besucher. Mit Schlamm werfen ist verboten. Und Unbekleidete haben keinen Zutritt. bes

Kestnergesellschaft, Hannover. Täglich außer montags, 10-19, donnerstags bis 21 Uhr. Bis 10. April