Schwerstarbeiter am eigenen Erfolg

Wenn nichts mehr hilft, versucht man sein Comeback eben als Protestsänger: Kevin Spacey hat über den Musiker Bobby Darin ein erfrischend krudes und obsessives Biopic gedreht. Seine überzeugendsten Momente hat der Schauspieler in „Beyond the Sea“ als lässiger Crooner mit Big-Band-Begleitung

VON ANDREAS BUSCHE

In der Flut von Biopics, die in letzter Zeit in den Kinos zu sehen waren, nimmt sich „Beyond the Sea“, Kevin Spaceys Film über das Leben des Sängers Bobby Darin, geradezu erfrischend krude aus. Besser noch: Der Film ist ein grandioses Chaos, das sich den Konventionen des Genres, selbst denen der schamlosen Mythifizierung, in seiner heillosen Unfertigkeit entzieht. Darins durchwachsene Biografie bietet allerdings auch kaum das richtige Mythenmaterial für ein ernsthaftes Revival. „Beyond the Sea“ ist eher die Geschichte eines Schwerstarbeiters am eigenen Erfolg.

Im Alter von sieben Jahren wurde dem kleinen Bobby aufgrund eines Herzfehlers ein nur kurzes Leben diagnostiziert. Mit 22 war er ein Teenie-Idol, mit 23 machte er Sinatra Konkurrenz, im Alter von 27 wurde er für den Oscar nominiert, und auf der Beerdigung von Robert Kennedy hatte Darin schließlich eine Epiphanie, nach der er sich in einen Wohnwagen zurückzog, um kurz darauf ein missglücktes Comeback als Protestsänger zu starten. Im selben Jahr erfuhr er, dass seine vermeintliche Schwester in Wirklichkeit seine biologische Mutter war. Ein bewegtes Leben also, das sich grob in zwei Kapitel einteilen lässt: Erst konnte es Darin gar nicht schnell genug nach oben schaffen (seine kurze Lebenserwartung), zum Ende hin schien dieses Leben dagegen immer länger und peinigender zu werden. Er starb im Alter von 37 Jahren.

Spacey, der Bobby Darin mit mephistophelischer Überzeugungskraft spielt, interessiert sich in „Beyond the Sea“ nicht so sehr für einen künstlerischen Bildungsroman. Darum ist sein Biopic alles andere als konventionell ausgefallen. Schon vor Jahren hatte Spacey sein Bobby-Darin-Projekt zum persönlichen Schlüsselwerk erklärt. Und die obsessive Natur dieser Projektion sorgt für unterhaltsame Verfremdungseffekte. Denn zentrales Motiv ist in „Beyond the Sea“ die künstlerische Mimikry. Spacey will um jeden Preis mit der Figur Darin verschmelzen. Dafür hat er sich Freiheiten mit dessen Biografie erlaubt. (Überhaupt scheint Spacey sich von Darins Leben mehr inspiriert zu fühlen denn wirklich beeindruckt zu sein.) So hat „Beyond the Sea“ seine überzeugendsten Momente, wenn Spacey den hüftschwingenden Teen-Bopper oder lässigen Crooner mit Big-Band-Begleitung gibt. Die Diskrepanz dieser Adaption reichert den Subtext des Films mit kleinen, selbstreflexiven Pointen an.

Denn was Spacey und Darin letztlich verbinden soll, ist weit weniger augenscheinlich als das, was sie eigentlich trennt: Spacey ist heute zehn Jahre älter als Darin zum Zeitpunkt seines Todes. Alter fungiert in „Beyond the Sea“ denn auch als ein weiteres ironisch zugespitztes Motiv. Zunächst wird Darins Eignung, sich selbst als jungen Mann darzustellen, angezweifelt. Die Reaktion ist für den ganzen Film programmatisch: „Wie kann er zu alt dafür sein, sich selbst zu spielen?“ Später weist auch Darins Toupetsammlung, sein vergeblicher Kampf gegen den zurückweichenden Haaransatz, über den Film hinaus auf die Obsession Spaceys, mit dem viel zu jung verstorbenen Darin im Geiste eins zu werden.

Inkohärenz und Indifferenz, das musicalhafte Driften zwischen den Realitäten, sind die Stärken von „Beyond the Sea“. So darf, so muss ein Biopic aussehen, das sich nicht mit faktengestützter biografischer Nachlese begnügen will. Spaceys Narzissmus verleiht dem Film eine persönliche Note, wenn man so will: die Handschrift eines Autors. „Beyond the Sea“ durchschneidet Künstlerbiografie und künstlerische Wahnsysteme nach dem Zufallsprinzip – und stolpert am Ende über Darins großes tragisches Bekenntnis. „Ich habe mich mein Leben lang aus der Bronx herausgekämpft,“ sagt Spacey zum kindlichen Bobby-Alter-Ego, „aber das war nicht halb so anstrengend, wie es für dich sein wird, wieder aus Beverly Hills herauszukommen.“ Und wenn gar nichts mehr hilft, wird man eben Protestsänger.