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Archiv-Artikel

SPD ohne Hoffnung

PROBLEMPARTEI Swantje Hartmann war die große Hoffnung der Niedersachsen-SPD. Nach 19 Jahren Mitgliedschaft hat die 36-Jährige ihr Parteibuch abgegeben. Das nutzt ihrer Gesundheit. Und schadet dem Landesvorsitzenden Garrelt Duin. Die Betrachtung einer Partei, die sich vom Solidaritätsprinzip verabschiedet

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Erleichtert reagiert hat Garrelt Duin. „Jetzt kann die Konzentration auf die eigentliche Arbeit weitergehen“, so lässt sich der Landesvorsitzende der SPD bezüglich des Partei-Austritts seiner langjährigen Vertrauten und einstigen Stellvertreterin Swantje Hartmann zitieren. Die dürfte aus dem monatelangen Sperrfeuer raus sein. Aber ob das Duin wirklich Luft verschafft?

Am Dienstag war die 36-Jährige durch die Delmenhorster Ratsfraktion – die sich infolge interner Streitigkeiten mehr und mehr dezimiert – faktisch als Bürgermeisterin abgesetzt worden. Am Donnerstag hat Hartmann dann ihr Parteibuch abgegeben. Nach 19 Jahren Mitgliedschaft, mehr als ein halbes Leben. Und trotzdem überraschte an dem Schritt höchstens der Zeitpunkt: Warum erst jetzt?

Gerüchte aus der Partei

Denn Gelegenheiten hatte es seit der Landtagswahl genug gegeben: Ab Mai wurden in unregelmäßigen Abständen Gerüchte lanciert und Falschmeldungen verbreitet, jeweils erkennbar aus den Reihen der Partei. Und stets pünktlich zu Beginn von Parlamentswochen. Die durfte Hartmann dann damit zubringen, Anschuldigungen zu widerlegen: Dass ihre parteifinanzierte Bahncard nicht unstatthaft war. Dass sie vor drei oder vier Jahren für ihre Handytelefonate keine Rechnung von der Partei bekommen hatte. Dass die einer Zeitung zugespielte Gerichtsakte, derzufolge Hartmann einen Offenbarungseid geleistet hätte, eine fehlerhafte Kopie war, ein Irrtum – oder eine Fälschung.

In jedem Fall ist ihr das gelungen – aber mit jedem Vorwurf fielen Ämter weg: Finanzpolitische Sprecherin – durfte sie nicht mehr sein, Fraktionsvorstand – kein Job für sie, stellvertretende Parteivorsitzende – Abschied. Dasselbe Bild als sie sich mittels graphologischer Gutachten des Verdachts erwehren musste, die Unterschrift ihrer Putzfrau unter Lohnquittungen gefälscht zu haben: Die Raumpflegerin war von der Vorsitzenden der Delmenhorster SPD-Fraktion, Susanne Mittag, an die Polizei vermittelt worden. Dort hatte Mittag, von Berufs wegen Pressesprecherin der örtlichen Direktion, dann für die Öffentlichkeitsarbeit sorgen können. Bis ihr Dienstherr einen Interessenskonflikt witterte und sie mit anderen Aufgaben betraute. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Hartmann wiederum zeigte Mittag und deren Stellvertreterin an, was nicht klug war. Nun ist sie den Posten der ehrenamtlichen Bürgermeisterin los. Den hatte sie 2001 bekommen, mit 28 Jahren.

Duin meldet sich nicht. Aber das ist nicht verwunderlich: Der Mann aus Hinte ist vieles, aber kein Kommunikationstalent. Und was könnte er auch gewinnen? Als er sich, mit der falschen Gerichtsakte bewaffnet, im Mai 2008 weinend vor die Presse stellte, schreckliche weitere Vergehen Hartmanns insinuierte und ihren Rücktritt verkündete – war das seinem Ansehen nicht zuträglich. Jetzt stehen die Bundestagswahlen an, Duin will sein Direktmandat verteidigen. Und möglichst nicht mehr in dieser Geschichte vorkommen.

Tatsächlich ist die Rolle, die er in ihr spielt, nicht komplett erhellt. Fest steht nur, dass es eine unglückliche war. Manche vermuten, Duin könnte die treibende Kraft hinter den Vorwürfen. Weil Hartmann, kaum war sie im Januar 2008 gewählt, in regionalen Medien als mögliche Anwärterin auf den Landesvorsitz gehandelt wurde. Andere sehen ihn eher als Opfer von Einflüsterungen aus dem Krabbenkorb der Delmenhorster Lokalpolitik, denen er blind vertraut habe. In Panik, weil er mit Hartmann und ihrem Ex, einem aufgrund unbestätigter Untreuevorwürfe geschassten Bezirksgeschäftsführer, schon seit Juso-Zeiten eine Troika bildete.

Kein Blatt dazwischen

Der Ex war der Mann fürs Grobe. Duin der für die Karriere. Und Hartmann die Kommunikatorin, sowohl nach außen als auch – besonders wichtig, denn der im Raumschiff Berlin unauffällig agierende Landesvorsitzende und der niedersächsische Fraktions-Chef Wolfgang Jüttner sind nur formal per Du – in den Landtag hinein. „Zwischen Swantje und Garrelt passt kein Blatt“, so hieß es bis zur Niedersachsenwahl.

Für die Version von Duin als hoffnungslos getriebenem Spielball spricht, dass er – intern – selbstkritisch Fehl- beziehungsweise Überreaktionen eingeräumt haben soll. Aber das ist nicht bestätigt. Hätte er das öffentlich getan, wäre es ihm, dem Landesvorsitzenden, vielleicht gelungen, die Zersetzungs-Dynamik zu stoppen. Die Ortsvereine zu zähmen. Und den Verlust eines prominenten Mitglieds, das in Delmenhorst viele Stimmen auf sich zu ziehen vermag, zu verhindern. Schließlich ist die Zahl politischer Talente der einst stolzen Volkspartei überschaubar. Hartmann ist eins gewesen.

Dass sie ihren Lebensentwurf ändern muss, heißt das nicht. Im Gegenteil: Es gab ja Solidaritätsbekundungen – von den politischen Gegnern. Zuletzt hatte die Delmenhorster Die Linke sich bestürzt über das „grenzenlose Mobbing“ geäußert – aber dass Hartmann den Weg anderer prominenter SPDler geht, erwartet Kreszentia Flauger nicht: „Von ihrer Art und Politikauffassung her“, so die Chefin der Landtags-Linken, „passt sie doch eher zur CDU.“ Von der erhielt sie schon im Juni vergangenen Jahres Beistand: Ministerpräsident Wulff zeigte sich besorgt über die „irrationalen Züge“ der Auseinandersetzung und mahnte, dass man „für junge Politiker auch eine große Verantwortung als Förderer“ trage. Die Unions-Abgeordneten zeigen seither keine Scheu, am Rande von Landtagssitzungen mit ihr zu plaudern.

Bloß keine Namen

Nicht jedoch ihre Ex-Genossen. Keiner von ihnen, der lautstark in die Bresche gesprungen wäre. Selbst Anfang des Jahres nicht, als die schrille Putzfrauen-Story die Runde machte. Schwer krank ist sie da gewesen. Als „besorgniserregend“ hatten Genossen, die sich – hinter vorgehaltener Hand! – noch Hartmann-Freunde nannten, ihren Zustand im Februar geschildert. Aber psst!, bloß keinen Namen!, hieß es da, bei aller Freundschaft. Das Solidaritätsprinzip hatten die Sozialdemokraten ja schon 2007 aufgegeben, per Parteitagsbeschluss. Aber bislang hatte man gedacht, der bezöge sich nur auf die Aufstellung von Wahl-Listen.

Für Hartmann hat der Austritt wenigstens gesundheitlichen Nutzen. „Eine Partei, die das schweigend hinnimmt“, sagt sie, „hat auch ein Stück ihres geschichtlichen Bewusstseins verloren.“ Und „ich bin jetzt erst einmal parteilos“, sagt sie. Die CDU dürfte Interesse an ihrem intimen Feind-Kenntnissen haben – und ihrer Delmenhorster Hausmacht. Schließlich ist auch Patrick de la Lanne nicht für immer und ewig zum Oberbürgermeister gewählt. Als unwahrscheinlich gilt nur, dass Hartmann vor der Bundestagswahl in die Union eintritt. Als Hauptfigur des politischen Sommertheaters scheidet sie damit dieses Jahr aus.