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Archiv-Artikel

Der Dauerblogger

PANTER PREIS Ole Seidenberg nutzt sämtliche Möglichkeiten der virtuellen Welt, um in der ganz realen Veränderungen zu bewirken. Zum Beispiel für Uwe, den ehemaligen Junkie

Panter Preis 2009

■ Sechs KandidatInnen für den Panter Preis der taz sind von unserer fünfköpfigen Jury (siehe sonntaz vom 13. Juni) ausgewählt worden; heute stellen wir Ihnen den ersten Aspiranten für die Auszeichnung um Mut und Engagement vor, Ole Seidenberg aus Hamburg.

■ Am 19. September wird in der Komischen Oper Berlin der Panter Preis verliehen. Genau genommen sind es zwei Panter Preise, die in gleicher Höhe dotiert sind. Einen Preis vergibt eine Jury aus tazlerInnen mit prominenter Hilfe, einen zweiten vergeben Sie.

■ Von dieser Woche an können Sie die KandidatInnen begutachten und schließlich jene(n), der oder die Ihnen am preiswürdigsten scheint, für den taz Panter LeserInnenpreis wählen. Wie dies möglich ist, berichten wir in der übernächsten sonntaz-Ausgabe.

■ In der kommenden Woche porträtieren wir an gleicher Stelle die zweite Kandidatin.

■ Mehr unter www.taz.de/panter

VON MARLENE GIESE

Zwei Wochen Bloggen hat Ole Seidenberg hinter sich. Von Bonn aus hat er mit neun Mitstreitern die Welt via Internet über die Ereignisse auf dem UN-Klimagipfel informiert; die „Verhandlungsführer getrackt“, wie er sagt. Das schlaucht. Jetzt atmet er tief durch. Jetzt ist wieder die „Aktion Uwe“ dran.

Fundraising per www.socialblogger.de

Bevor Uwe zur Aktion wurde, war er einfach nur ein ausgebildeter Koch und Konditor, der irgendwann die Kurve nicht mehr gekriegt hat. Er wurde Junkie, infizierte sich mit HIV und lebte zwanzig Jahre auf der Straße. Ein müdes Lächeln, im besten Fall ein paar Cent waren das, was die meisten Passanten für Uwe übrig hatten. Der Mittzwanziger Ole Seidenberg lud den Mann zum Essen ein und hörte sich seine Geschichte an. Kurze Zeit später rief er auf seiner Website socialblogger.de zu Spenden auf, damit Uwe einen lange gehegten Traum verwirklichen kann: ein Nachtcafé als Ort der Stärkung und Sicherheit für andere Obdachlose zu eröffnen.

Oles Social Fundraising hat gefruchtet. Neben diversen Sachspenden sind innerhalb der letzten fünf Monate über 2.000 Euro zusammengekommen. Gemeinsam haben es die beiden sogar geschafft, den mit 10.000 Euro dotierten Wettbewerb „Hamburg – Anstiften!“ für sich zu entscheiden, so dass es mit dem Nachtcafé jetzt wirklich losgehen kann.

Ole Seidenberg ist ein Vorzeigevertreter der Generation Web 2.0. „Zuhause ist, wo mein Laptop steht“, also momentan in Hamburg, wo er noch sein Soziologiestudium beenden will. Viel Zeit hat er dafür nicht, „aber gerade wird ja eh gestreikt“.

Internetseiten baut Ole schon seit zehn Jahren, und Angst vor Big Brother, Überwachung und Datenausforschung kennt er nicht. Natürlich findet er es bedenklich, dass Jugendliche manchmal etwas zu sorglos mit privaten Daten umgehen. „Das ist wie Sauna: Das macht nur Spaß, wenn alle nackig sind.“

Ole Seidenberg selbst allerdings hat die digitale Vernetzung bisher nur Glück gebracht. Ohne die Internet-Kontaktplattform Xing hätte er nicht den Caritas-Mitarbeiter kennen gelernt, der ihn für zwei Monate nach Sierra Leone holte. Ohne Präsenz auf Facebook hätte er nicht die Spiegel-Redakteurin getroffen, deren Beitrag die ersten Spenden für die „Aktion Uwe“ einbrachte.

Auch Bonn stand für Ole ganz im Zeichen des schnellen, weltweiten Informationsaustauschs. Obwohl die internationale Crew von Bloggern toll und die Zeit aufregend war, ist Ole enttäuscht. „Insgesamt ist zu wenig herausgekommen“, sagt er und schaut in seine blaue Kaffeetasse, eine Erinnerung an seine Zeit als Praktikant bei der UNO. Viele Teilnehmerstaaten haben wieder nicht die nötigen, verbindlichen Zusagen gemacht, um die Erderwärmung zu stoppen. Damit sie unter 2 Grad Celsius bleibt, müssten bis 2020 mindestens 25 Prozent Kohlendioxidausstoß eingespart werden. Die bittere Realität: Die USA handelten 17 bis 25 Prozent aus, Japan 8 Prozent und Kanada spricht von haarsträubenden 2,5 Prozent.

Ein müdes Lächeln, im besten Fall ein paar Cent waren das, was die meisten Passanten für Uwe übrig hatten. Ole Seidenberg lud den Mann zum Essen ein und hörte sich seine Geschichte an. Kurze Zeit später rief er auf seiner Website zu Spenden auf

„Schockierende Momente des politischen Kalküls“ waren das, meint er, während Coldplay aus dem Küchenradio dudelt, seine Lieblingsband. „Da werden Abermilliarden für Präventivkriege ausgegeben, aber an der Rettung unseres Planeten wird gespart!“ Gegen die allgegenwärtige Ignoranz und Nicht-mein-Problem-Haltung will er „anbloggen“, die Leute aufrütteln.

Nicht Mut, sondern ganz natürliches Gefühl

Dass Ole Seidenberg irgendwie anders ist, vielleicht ein bisschen sozialer tickt als der Durchschnittsdeutsche, stellte er selbst mit 17 Jahren fest. Im Zug nach Oldenburg lernte er einen jungen Mann aus Sierra Leone kennen, der aus seinem Asylbewerberheim abgehauen und auf der Suche nach einem Anwalt war. Ole Seidenberg nahm ihn kurzerhand mit zu sich nach Hause. Für ihn hatte das nichts mit Mut zu tun, sondern „fühlte sich einfach natürlich an“. Seine Eltern waren zwar kurz irritiert, aber nach drei Tagen wollten sie den Afrikaner adoptieren. Der Bundesgrenzschutz machte den Seidenbergs einen Strich durch die Rechnung und brachte den Mann zurück ins Asylbewerberheim.

Als er über das Webportal Xing einen Caritas-Mitarbeiter kennen lernt, der in dem westafrikanischen Land arbeitet und ihn mehr im Spaß einlädt, lässt Ole sich nicht zweimal bitten. Zwei Monate blieb er dort, und sein dringlichster Wunsch ist es nun, die gastfreundliche Familie in Freetown wiederzusehen. Und dann will er sich selbständig machen als Vernetzer und Übersetzer zwischen den sozialen Welten. Mit einer Agentur für nachhaltige und soziale Zwecke, die auch Uwe, inzwischen Freund und Vertrauter, weiterhin zur Seite stehen wird.