… wie ein kleines Steak

FLEISCHVERZICHT Das Ersatzprodukt Valess schadet dem Klima womöglich mehr als echtes Schwein und Rind

 Was es ist: Valess ist das erste Fleischersatzprodukt aus Milch. Die bekannteste Variante sieht aus wie ein Schnitzel. Es besteht unter anderem aus Magermilch, Panade, pflanzlichen Ölen, Eiweiß, Aroma und Zusatzstoffen. Bei Supermarktketten wie Rewe kostet es etwa 15 Euro pro Kilogramm.

 Was es will: Hersteller Campina preist Valess als gesunde Alternative zu Fleisch an. Gleichzeitig wirbt das Unternehmen mit der angeblich besseren Klimabilanz. Bei der Produktion von Valess würde weniger Treibhausgas ausgestoßen als etwa für Schweinefleisch. Glaubwürdige Belege dafür fehlen allerdings.

 Wer es will: Eine wichtige Zielgruppe sind berufstätige und gesundheitsorientierte Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Laut Marktforschern ist der Umsatz mit Fleischersatzprodukten in Deutschland 2008 um 43 Prozent auf 16 Millionen Euro gestiegen. In den Niederlanden essen laut Campina schon 30 Prozent der Verbraucher solche Alternativangebote.

VON JOST MAURIN

Es sieht seinem Vorbild, dem Schweineschnitzel, verblüffend ähnlich. Die Panade von Valess, dem ersten Fleischersatzprodukt aus Milch, ist goldbraun, das Innere weiß. Und bissfest. Und es schmeckt tatsächlich ziemlich nach Fleisch. Aber – es ist auch nicht zu leugnen, dass Valess einen leicht abgestandenen Beigeschmack hat, wie er für solche Fertigprodukte typisch ist.

Doch wer daran gewöhnt ist, wird das wohl in Kauf nehmen. Das jedenfalls glaubt der niederländische Molkereikonzern Campina. Er will für sein Produkt vor allem 20- bis 40-jährige Frauen gewinnen, die viel im Beruf zu tun und wenig Zeit zum Kochen haben. Die sich aber trotzdem um ihre Gesundheit kümmern und beschlossen haben, weniger Fleisch zu essen.

Bei WissenschaftlerInnen wie Susann Ruprecht vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung rennen diese Menschen offene Türen ein. Im Jahr 2007 verspeiste jeder Deutsche im Schnitt fast 170 Gramm Fleisch pro Tag, rechnet sie vor. Empfohlen sind nur 60 bis 80 Gramm. Schließlich enthält Fleisch Fett, das Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt. „Zu viel rotes Fleisch“, warnt Ruprecht, „erhöht auch das Darmkrebsrisiko.“

Auch sonst gibt es gute Gründe, den Fleischkonsum zu reduzieren: Rund 70 Prozent des Treibhausgasausstoßes in der deutschen Landwirtschaft verursacht laut Foodwatch die Tierhaltung. Zudem ist sie weltweit verantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen hungern: Um Tierfutter zu produzieren, wird kostbare Ackerfläche belegt, auf der genauso gut Lebensmittel erzeugt werden könnten.

Um Fleisch mit einem Nährwert von einer Kilokalorie zu erzeugen, ist nach Angaben der UN-Ernährungs- und Agrarorganisation FAO Getreide mit einer Energie von sieben Kilokalorien nötig – die übrigen sechs verbraucht das Tier selbst.

Aber ob die Herstellung von Valess wirklich weniger Treibhausgas produziert, ist umstritten. Wim van den Heuvel, Chef von Campinas Sparte für Valess, sagt zwar, dass für sein Produkt nur 32 Prozent des Kohlendioxids (CO2) ausgestoßen würden, das für dieselbe Menge Schweinefleisch nötig ist. Demnach verursacht die Herstellung eines Kilogramms Valess 4,5 Kilogramm CO2, die eines Kilogramms vergleichbarer Schweinefleischprodukte aber 14 Kilogramm Treibhausgas. Doch an diesen Angaben gibt es Zweifel. Die Lebensmittelexpertin Hedi Grunewald von der Verbraucherzentrale Niedersachsen etwa hat da ganz andere Zahlen: Laut dem Öko-Institut würden für ein Kilo Schweinefleisch lediglich 3,2 Kilo CO2 fällig. Valess wäre dann also sogar klimaschädlicher als Fleisch.

Heuvel aber beruft sich auf eine Studie, die Campina bei dem privaten Umweltforschungsinstitut CE Delft in Auftrag gegeben hat. Auch auf mehrmalige Nachfrage wollte der ansonsten sehr auskunftsfreudige Manager allerdings der taz die Untersuchung nicht schicken, so dass es unmöglich ist, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Ein Firmensprecher entschuldigt das damit, in der Studie seien „auch vertrauliche Informationen bezüglich des Produktionsprozesses enthalten.“

Campina jedenfalls setzt auf steigenden Verbrauch. Und in diesem Punkt scheinen die Zahlen dem Unternehmen recht zu geben. Im vergangenen Jahr wuchs der Umsatz um 43 Prozent, das jedenfalls hat das Marktforschungsunternehmen Nielsen herausgefunden. Insgesamt liegt der Umsatz zwar noch immer bei nur 16 Millionen Euro. Aber der Verbrauch in den Niederlanden zeigt, wohin die Reise auch in Deutschland gehen könnte: Laut Campina konsumieren schon 30 Prozent der niederländischen Verbraucher Fleischersatzprodukte.

Die meisten von ihnen sind keine Vegetarier, sondern nur „Fleischreduzierer“, wie die Molkerei sie nennt. „Rein vegetarisch ernähren sich in Deutschland nur 2 Prozent, aber fleischfreie Tage legen gut 50 Prozent der Konsumenten ein“, sagt Heuvel. Deshalb richtet sich die Campina-Werbung auch hauptsächlich an diese Kompromissler.

Sowohl bei Vegetariern als auch bei Fleischessern scheint Valess gut anzukommen. In einem Test der niederländischen Verbraucherschutzorganisation Consumentenbond landete Valess in der Kategorie Schnitzel auf dem ersten Platz vor drei anderen Fleischersatzprodukten. Besonders positiv wurde der Geschmack bewertet. Aber auch der relativ geringe Anteil von gesättigten Fettsäuren, die schädlich für das Herz-Kreislauf-System sind, spielt eine Rolle.

In der Fabrik von Campina im niederländischen Tilburg wird entrahmte Milch benutzt, der die tierischen, gesättigten Fette weitgehend entzogen wurden. Als Ersatz fügen die Lebensmitteltechniker pflanzliche, ungesättigte Fette zu: Palm- und Sonnenblumenöl. Wie bei der Käseproduktion konzentriert ein Gerinnungsmittel das Eiweiß. Später verändern Algen das Material so, dass es eine fleischartige Struktur annimmt.

„Fleischfreie Tage legen gut 50 Prozent der Konsumenten ein“

VALESS-CHEF WIM VAN DEN HEUVEL

Wie jedes richtige Fertigessen enthält Valess auch Zusatzstoffe wie Verdickungsmittel und Aromen. Für Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. steht deshalb fest: „Valess ist keine gesunde Alternative.“

Ist das gesund?

Natriumalginat etwa kann in größeren Mengen den Körper daran hindern, wichtige Spurenelemente aufzunehmen. „Und Aromastoffe führen dazu, dass wir keinen Geschmack mehr für natürliche Lebensmittel haben“, kritisiert Armin Valet. „Das ist ein Kunstprodukt.“ Campina-Manager Heuvel entgegnet, alle Zutaten seien überprüft und zugelassen.

Die Milchbauern jedenfalls freuen sich über Erfindungen wie Valess. Sie produzieren mehr, als sie verkaufen können, die Preise verfallen zusehends. Viele Landwirte können deshalb nicht mehr von ihren Kühen leben. Erfindungen wie Valess steigern die Nachfrage nach Milch. „Und alles, was eine höhere Wertschöpfung für die Milcherzeuger bringt, ist grundsätzlich zu begrüßen“, sagt Milchexperte Rudolf Schmidt vom Deutschen Bauernverband.

Auch der Vegetarierbund äußert sich positiv. Sein Chef, Thomas Schönberger, hat beobachtet, dass es Fleischersatzprodukte auch von anderen Firmen – zum Beispiel der Discounterkette Lidl – gibt. „Das ist ein Symbol dafür, dass sich was ändert. Vegetarische Ernährung kommt in die Mitte unserer Gesellschaft.“