: Verharmlosen ist zu gefährlich
Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen entschärfen den Gesetzentwurf der Regierung, weil sie ihn in seiner derzeitigen Form für verfassungswidrig halten
FREIBURG taz ■ Die Bundesregierung hat sich verschätzt. Auch wenn es gegen Rechtsextremisten geht, machen die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen nicht jede Verschärfung der Straf- und Versammlungsgesetze mit. Rot-Grün wird deshalb morgen eine halbierte Version des jüngst präsentierten Regierungsentwurfs in den Bundestag einbringen.
Der rot-grüne Entwurf, der der taz vorliegt, ist fast textidentisch mit dem Entwurf, den Innenminister Schily und Justizministerin Zypries (beide SPD) letzte Woche vorgestellt haben. Er erleichtert das Verbot von Demonstrationen an nationalen Gedenkstätten für NS-Opfer.
Was aber fehlt, ist die von Ministerin Zypries geplante Ausweitung der Volksverhetzungsbestimmung. „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost.“ So hieß es noch in der Regierungsvorlage.
Diese Bestimmung hielten sowohl die Grünen als auch die SPD für zu unbestimmt und zu weitgehend. „Das geht auf keinen Fall“, sagte gestern Silke Stokar, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, zur taz. Und ihr SPD-Kollege Dieter Wiefelspütz urteilte gegenüber der Berliner Zeitung, dem Regierungsvorschlag sei die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben. Über eine modifizierte Fassung des vorerst gestrichenen Absatzes wollen SPD und Grüne nun verhandeln. „Ziel ist, den Passus nach einer Einigung noch ins laufende Gesetzgebungsverfahren einzubringen“, sagte gestern eine Sprecherin des Justizministeriums zur taz. Möglicherweise wird nur die Verherrlichung des NS-Regimes unter Strafe gestellt oder das Verharmlosen auf falsche Tatsachen-Aussagen beschränkt. Meinungsäußerungen wie „Es war nicht alles schlecht damals“ blieben dann straffrei.
Das geänderte Versammlungsgesetz soll noch vor dem 8. Mai beschlossen werden. An diesem Tag will die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten unter dem Motto „Schluss mit dem Schuldkult“ vorbei am Holocaust-Mahnmahl zum Brandenburger Tor ziehen. Der Vorbeimarsch am Mahnmahl lässt sich mit dem neuen Gesetz wohl verhindern, eine Kundgebung am Tor aber nicht. Auch das umstrittene Verschärfen des Volksverhetzungsparagrafen würde ein generelles Verbot der Veranstaltung nicht erleichtern. Der Verherrlichungs- und Verharmlosungspassus zielt eher auf die jährlichen Rudolf-Hess-Märsche im bayerischen Wunsiedel.
Der Union geht es aber nicht zuletzt um das Brandenburger Tor. Sie will deshalb den „befriedeten Bezirk“ um den Reichstag ausweiten, sodass auch das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal erfasst werden. Versammlungen sollten hier nur ausnahmsweise vom Bundesinnenminister erlaubt werden können. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird morgen ebenfalls im Bundestag beraten. Auch dieser Vorschlag dürfte verfassungswidrig sein, da er offensichtlich nicht darauf abzielt, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu schützen, sondern „beschämende Bilder“ (CDU) am Brandenburger Tor zu verhindern. CHRISTIAN RATH