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Archiv-Artikel

NPD-Funktionär darf weiter führen

Der stellvertretende NPD-Vorsitzende Claus Cremer kann seine Partei ungestört in den Landtagswahlkampf führen: Das Bochumer Landgericht setzte die einjährige Gefängnisstrafe des Volksverhetzers auf Bewährung aus

BOCHUM taz ■ Claus Cremer, stellvertretender NPD-Landesvorsitzender von Nordrhein-Westfalen und Bezirksvertreter in Wattenscheid, muss nicht in den Knast. Die Richter des Bochumer Landgerichts haben den 26-Jährigen gestern zwar wegen Volksverhetzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, setzten die Strafe jedoch auf Bewährung aus. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor plädiert, Cremer für anderthalb Jahre hinter Gitter zu bringen. Der Angeklagte hatte im Juni 2004 auf einer Neonazi-Demo gegen den Synagogenbau in Bochum eine antisemitische Rede gehalten. Die Protest-Veranstaltung war erst drei Tage vor dem angepeilten Termin per Eilentscheidung vom Bundesverfassungsgericht genehmigt worden.

Für die Staatsanwaltschaft kam eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht. Sie plädierte für eine Gefängnisstrafe, weil beim Angeklagten keine „positive Sozialprognose“ zu erwarten sei. „Von Reue war keine Spur zu sehen“, stellte Staatsanwaltschaft Björn Ohström fest. Cremers Grundeinstellung und seinem Verhalten vor Gericht sei nicht zu entnehmen, dass er allein die Verurteilung als Warnung nehme. Ohström regte außerdem eine Gesetzesreform an: Nicht nur Räuber und Mörder, sondern auch Volksverhetzer wie Cremer sollten das Recht verlieren, bei Wahlen kandidieren zu dürfen.

Cremers Rechtsanwalt pries in seinem fast einstündigen Plädoyer das Recht auf Meinungsfreiheit. Er richtete sich dabei besonders an die Schöffenrichter, die „noch nicht auf die verfahrenstechnische Spur“ gesetzt seien, so Klaus Kunze. In einer modernen Gesellschaft würde von jedem gefordert, pro oder contra etwas zu sein. „Allein gegen Juden zu sein, ist nicht volksverhetzend“, sagte er.

Das sahen die Richter anders, sie blieben aber in ihrem Urteil mit einer einjährigen Bewährungsstrafe und hundert Stunden gemeinnütziger Arbeit weit unter den Forderungen der Staatsanwälte. Sie verurteilten die Aussagen der Nummer drei auf der NPD-Landesliste zwar als volksverhetzend. Er habe die jüdische Bevölkerung im Land böswillig verächtlich gemacht, so der vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup. „Die Menschenwürde ist keine Abwägungssache.“ Cremer habe mit Hilfe von verfälschten Zitaten aus dem altjüdischen Gesetzbuch Talmud die jüdischen Gläubigen bezichtigt, zu sexuellem Missbrauch von Kindern aufzurufen. „Das ist blanke Hetze“, sagte Mittrup.

Zugute gehalten wurde dem Angeklagten sein erfolgreicher Lebenslauf vom Sozialpädagogikstudium zum Industriekaufmann – seine Geldstrafen wegen unerlaubtem Waffenbesitzes und Widerstands gegen die Staatsgewalt fielen nicht ins Gewicht. Außerdem spreche für Cremer, dass er sich wohl „nicht bewusst gewesen sei, mit seiner Rede die Schwelle der Strafbarkeit zu überschreiten“, so Mittrup. Er hoffe, dass die Verurteilung beim Angeklagten einen nachhaltigen Eindruck hinterlasse und er „seine politische Agitation in zivile Bahnen lenkt“.

NATALIE WIESMANN