: Seine Merkwürden
Weder ein traditionalistischer Traum noch dessen frivole Widerlegung: Alexander Sokuro zeigt den Tenno in „Solzne“ (Wettbewerb) als faden Sonderling
„Solzne“ endet mit dem Selbstmord eines Toningenieurs. Dazu passen zwei Beobachtungen. Zum einen, dass die Tonspur in „Solzne“ von Alexander Sokurov zu den exquisitesten Ergebnissen seines konzentrierten Filmemachens zu zählen ist. Er hält sie auch für eine todernste Sache. Wenn der kindliche Kaiser in seinem Fotoalbum blättert, begleitet ihn leise eine Cello-Komposition von Bach. Später ertönt dasselbe Stück bei seinem zweiten Treffen mit MacArthur, in dem es um sein Schicksal geht. Sie wird etwas lauter, als MacArthur sich kurz entfernt, um den Tenno zu beobachten. Sein Grinsen drückt aus, was die US-Reporter beim ersten Treffen mit dem Nachfahren der Sonnengöttin hervorprusten: „Das soll ein Kaiser sein!“
Zum anderen aber ist der Selbstmord des technischen Überbringers der schlechten Nachricht ein Zeichen für den Ernst der von MacArthur herbeigeführten Entscheidung, der allen klar war, nur dem Betroffenen nicht, dem Tenno selbst. Dass er nämlich nur im Amt bleiben dürfe, wenn er künftig kein Gott mehr sei, scheint ihm eher recht zu sein. Er wollte, vertraut er MacArthur an, schon immer mal eine Havanna rauchen.
Sokurov hat ein brillantes Kammerspiel aus funzligem Licht und muffigem Dunkelgrün um den Tenno gebaut. Es lag nahe, ihn als die Madame Butterfly unter den Menschheitsverbrechern zu stilisieren. Manchmal kurvt der Film knapp an Orientalismen vorbei: doch in sicherer Distanz. Seine Merkwürden sind das groteske Fundstück, das die Alliierten auf der Suche nach einem Urheber, ja einem Führer hinter dem japanischen Faschismus aufgetrieben haben. Der trivialen Vorstellung vom Subjekt des Bösen hatten die Deutschen mit ihrem Führer eine karikaturistische Entsprechung geboten. In Japan scheitert diese Suche daran, dass der dortige Faschismus im Bündnis mit der Tradition stand – und auch an ihren eigenen Prämissen. Sokurovs Tenno enthüllt kein einziges Geheimnis, er ist weder er selbst noch sein Gegenteil, weder ein traditionalistischer Traum noch dessen frivole oder insgeheim moderne Widerlegung. Er ist, und das zeigt Sokurov mit Geduld und fast Humor, das leere Zentrum einer Militärmaschine, der fade meeresbiologisch interessierte Sonderling, das Gegenteil aller zurzeit so beliebten Versuche, politische Macht auffälligen Personen zuzuordnen.
DIEDRICH DIEDERICHSEN
„Solzne“, 18. 2., 9.30 und 15.00, Urania, sowie 22.30, International; 20. 2., 21.00, Urania