Die Achse des Homo-Pop von Jan Kedves

Fußballstadion und Vorstadt

Über verdiente Veteranen des Homo-Pop spöttelt man nicht: Erasure mögen viele reichlich alberne Outfits getragen haben, ihre Performances mögen regelmäßig ins unerträglich Kitschige abgeglitten sein, dennoch erinnert man sich daran, schon den einen oder anderen Spaß mit ihnen gehabt zu haben. Ihr jüngstes Album „Nightbird“, also „Nachteule“, stellt nach Experimenten mit Akustikgitarre und Coverversionen gewissermaßen eine Rückbesinnung auf traditionelle Erasure-Werte dar – also ein Songwriting, das von Anfang an „Woohoohoo“-Mitgröl-Refrains für Fußballstadien und CSD-Umzüge mitdenkt und einen Sound, der sich für das, was Elektro-Pop mittlerweile auch sein kann, nicht interessiert. Erasure begnügen sich damit, ihr 80er-Rezept mit perlenden Synthie-Kaskaden faltenfrei zu spülen. Dass das nicht endgültig antiquiert klingt, verdanken sie letztlich allein der Musik namens Electroclash, die in den vergangenen drei Jahren Oktavbasslinien aus alten Analog-Synthesizern auch jungen Menschen wieder als hip verkaufte. Andy Bell, der vor seiner Zeit bei Erasure als Metzger arbeitete, greift dazu im Phrasenfundus dann arg häufig in die Grabbelkiste: „Dreams are emotions, baby“, „I gave you all my love, but you‘re mad at me“ oder „We must work it out“, hört man ihn da singen. Als vorstadttaugliche Alltagsbegleitung von Frau Mustermann und ihrem Manfred, die so ganz erstaunt erkennen, dass Schwule offenbar genauso banal unter der Liebe leiden wie alle anderen, ist „Nightbird“ somit nicht zu unterschätzen.

Erasure: „Nightbird“ (Mute/EMI)

Sterbebett und Flatter-Vibrato

Antony hat die Statur eines Rugby-Spielers, auf dem Cover seines zweiten Albums sieht man allerdings das Foto einer fragilen Schönheit: Candy Darling, die Drag Queen aus Warhols Factory, liegt dort auf ihrem Sterbebett. Die Stimme, die den Songs auf Antonys Album Leben einhaucht, klingt auch nicht gerade nach „Kerl“, im Gegenteil: Zusammen mit der Band The Johnsons, die sich nach einer 1992 auf ungeklärte Weise ums Leben gekommenen New Yorker Drag Queen benannt hat, singt Antony den herzzerreißendsten Transgender-Blues – darüber, wie es ist, in dem Geschlechter-Entweder-Oder, das von den meisten Menschen als einleuchtend empfunden wird, gefangen zu sein und sich, wenn nicht nach dem Tod, so doch zumindest nach Erlösung zu sehnen. Lou Reed, Rufus Wainwright und Devendra Banhart unterstützen ihn dabei, am ergreifendsten ist allerdings, wie Boy George ihm mit „You Are My Sister“ ein Erbauungs-Ständchen singt. Antony belegt seine Stimme mit dem theatralischsten, flatterhaftesten Vibrato, das man je im Pop-Kontext gehört hat; er scheint den Vogel des Titels imitieren zu wollen, der über den Menschen und ihren Mann-Frau-Zuschreibungen schwebt. Sein Gesang könnte zu dem Kurzschluss verleiten, Antony trete das Erbe von Klaus Nomi an. Sosehr dieser Vergleich hinkt und so stark Antony mit seinen morbiden Texten aufs Gemüt drückt: In der jüngeren Popgeschichte bleibt seine Stimme eine der markantesten Entdeckungen.

Antony & The Johnsons: „I Am A Bird Now“ (Secretly Canadian/Cargo Records)

Adoleszenz und iPod-Disco

The Soft Pink Truth nennt sich das Soloprojekt von Drew Daniel, der besseren Hälfte des amerikanischen Electronica-Paars Matmos, welches durch seine Kooperation mit Björk zuletzt einen gehörigen Popularitätsschub erlebte. Dass Daniel der Schalk faustdick im Nacken sitzt, war bereits auf seinem Soft-Pink-Truth-Debüt „Do You Party?“ vor zwei Jahren zu bemerken. Darauf schlachtete er sich beherzt quer durch die Musikgeschichte, von Satie bis Prince. Für sein zweites Album zieht er den Beutesack nun enger: „eine komparative Analyse ideologischer Positionen in englischem Punk-Rock und amerikanischem Hardcore-Songwriting“ möchte er hier leisten, was bedeutet, dass er den queeren bzw. subversiven Gehalt seiner Lieblingsmusik aus alten Jugendtagen so quietschig wie möglich nachprogrammiert. Die Helden der Vergangenheit heißen Crass, Nervous Gender oder Die Kreuzen, textlich geht es um Homophobie, Konsumkritik, Straight-Edge-Philosophie oder die Behauptung, Jesus habe Schwänze gelutscht. Themen, für die man als homosexueller Heranwachsender empfänglich ist. Daniel scheint die Tatsache, dass er irgendwann doch erwachsen geworden ist, dann so amüsiert zu haben, dass er daraus Subversions-Disco für die Generation iPod bastelte. In ihrer nervösen Stolperigkeit mag sie zunächst verstören, doch nach mehrmaligem Hören schafft diese Platte genau das, womit ihr Namensgeber „soft pink truth“, ein impotenter Penis, irgendwann aufgehört hat: Sie geht steil.

The Soft Pink Truth: „Do You Want New Wave Or Do You Want The Soft Pink Truth?“ (Soundslike/Rough Trade)