: Intellektuelle Geburtstagstorte
WÜRDIGUNG Zu Ehren des Jubilars Jürgen Habermas wurde in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main mit „… die Lava des Gedankens im Fluss“ eine Ausstellung zum Lebenswerk des Philosophen entwickelt
VON RUDOLF WALTHER
Der 80. Geburtstag von Jürgen Habermas löste ein spätpfingstliches Wörterrauschen aus – es hagelte Dossiers und Doppelseiten in den Zeitungen. Zuweilen führte das Bemühen, einem ganz Großen gerecht zu werden, zu argen sprachlichen Verrenkungen: Die Skala reicht vom „Meisterdenker“, „Giganten“, „Vorwärtsverteidiger“, „Niveauverbesserer“, und „Wissenschaftswunder“ bis hinunter zum „Praeceptor Germaniae“ und „Werbetexter“. Den Vogel schoss eine Wochenzeitung ab, die mit dem Slogan „Weltmacht Habermas“ aufmachte. Bei der Eröffnung der Ausstellung „… die Lava des Gedankens im Fluss. Jürgen Habermas. Eine Werkschau“ in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt erteilte Ulla Unseld-Berkéwicz vom Suhrkamp Verlag solcher Rhetorik gelassenen Bescheid: „Eine Weltmacht, die sich ausschließlich auf den ‚zwanglosen Zwang der Überzeugungskraft des besseren Arguments‘ (Habermas) verlässt, ist in der bisherigen Weltgeschichte noch nicht aufgetreten.“ Ein FAZ-Autor, der den Ort von Habermas’ Philosophie vor wenigen Jahren noch im „Kinderzimmer“ ausmachte, verlegte ihn jetzt in den „Seminarraum“ und relativierte den pöbelhaften Anwurf, Habermas sei der Meister des „Dabeiseins beim Dagegensein“ zum substanzlosen Geschwurbel, Habermas denke immer „mit/gegen“ Texte statt über Sachverhalte. Über diesen Wandel kann man noch hoffen, dass dereinst auch Konservative merken, wo sich das Zentrum der zeitgenössischen Philosophie befindet.
Es ist schon schwer genug, Habermas’ Bedeutung mit Worten zu fassen. Aber wie soll man sein Werk ausstellen – rund 50 Bücher, die weltweit in 53 Sprachen übersetzt wurden? Dieses Problem stellte sich dem Ausstellungsmacher Wolfgang Schopf. Und er löste es glänzend, wobei ihm die Architektur des Neubaus der Nationalbibliothek entgegenkam. Der Ausstellungsraum ist nach drei Seiten hin verglast. Das trifft das Herzstück von Habermas’ Werk, von dem aus und mit dessen Hilfe sich buchstäblich ungesehene Welten und unerhörte Sichtweisen öffnen. Der Titel der Ausstellung „… die Lava des Gedankens im Fluss“ ist ein Habermas-Zitat. Mit diesem Satz umriss er, was er erlebte, als er 1956 vom politisch und intellektuell trägen Bonn nach Frankfurt übersiedelte – „in ein neues Universum“, das von Adorno.
Mit welcher Verve der Hochschullehrer, Wissenschaftler und politische Intellektuelle Habermas seit nun mehr als 55 Jahren die Arbeit des Öffnens und Aufklärens betreibt, zeigen nicht nur seine Bücher, sondern auch Briefe und andere Dokumente über die Zusammenarbeit von Habermas mit dem Verleger Siegfried Unseld. Habermas machte ihm nicht nur Vorschläge zur Gestaltung von Anzeigen, sondern Bestand auf moderaten Preisen der Bücher: „Die Studenten müssen sie kaufen können.“
Alexander Kluge überbrachte seinem Freund Jürgen Habermas einen funkensprühenden Glückwunsch zum 80. Geburtstag. Kluge betonte, wie klar und unnachsichtig Habermas seine Funktionen als Lehrer und Wissenschaftler von jenen als politisch intervenierender Citoyen unterschied. Und Habermas bewies dabei politischen Mut, als er im Wintersemester 1967/68 in voll besetzten Hörsälen den scheinrevolutionären Zumutungen, die zivilen Ungehorsam mit Rabaukentum verwechselten, entschieden entgegentrat. Der damalige Gastprofessor Luhmann arbeitete sich gleichzeitig mit vier Studenten an „Liebe als Passion ab“.
Seinen eigenen Reim machte sich Kluge auf den Titel der Ausstellung „… die Lava des Gedankens im Fluss“. Kluge sieht in der Lava das Moment des Vulkanischen, im Fluss jenes des Neptunischen. Habermas – so Kluge – vereinige die beiden Momente – das Vulkanische in seinem intellektuellen und politischen Temperament, das Neptunische in seiner Fähigkeit, Gedanken nicht dogmatisch erstarren zu lassen, sondern gleichsam im Fluss, also beweglich zu halten.
Habermas bedankte sich für den Empfang in der ihm eigenen selbstironischen Art und brachte gleich eine „Hommage an die Stadt“ mit, „in deren Mauern ich die aufregendsten Zeiten meines erwachsenen Lebens erfahren habe“. Er schätze an der Stadt „das Offene, Transitorische und Unverstellte der Konflikte, die sich in ihr reiben, der Kontakte, die sie stiftet, der Ideen, die hier aufeinanderprallen“. Die Rede war eine Eloge auf das Herbe, Schrundige und Dissonante der Stadt, die sich im Spannungsfeld der Moderne und nicht in der Gemütlichkeit der Postmoderne bewege.
Habermas erinnerte an seine „Rekrutierung“ durch Siegfried Unseld für die 80.Geburtstage anderer – etwa Theodor W. Adornos und Gershom Scholems. Wer Alexander Kluge für die Festrede „mobilisiert“ hat, wusste Habermas nicht, aber er nahm das zum Anlass für ein „Geständnis“. Von 1957 an holte Kluge Habermas jeden Mittag vom Institut ab, begleitete ihn nach Hause und verabschiedete sich an der Haustür. „Damals aß man noch zu Mittag, vor allem wenn man kleine Kinder hatte.“ Auf dem kurzen Spaziergang erzählte Kluge, „verwirrend schnell, aber eindringlich und einschmeichelnd“ Geschichten. „Von Alexander ohnehin an alles gewöhnt“, hörte Habermas einfach zu. „Zu Nachfragen oder Kommentaren war keine Zeit.“ Erst als Kluges Buch „Lebensläufe“ erschienen war und Habermas begeisterte, entdeckte dieser, dass im vermeintlichen Juristen ein veritabler Schriftsteller steckte. Habermas zählt auch diese Episode zu den Belegen „für das inspirierende Frankfurter Milieu“, in dem diese „reflektierteste und eigensinnigste Prosa der frühen Bundesrepublik entstanden ist“.
bis 8. Juli, Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am Main