: Wirtschaftsfaktor Alter
80 Prozent der Senioren haben Geld. Deshalb bietet der demografische Wandel auch Wachstumschancen. Wettbewerb „Seniorenwirtschaft“ in Bonn
BONN taz ■ Zwischen den Stuhlreihen des ehemaligen Bundestag-Plenarsaals demonstriert Frank Morath mit geübten Handgriffen die Zukunft des Alterns. „Khargo“ heißt die fahrbare Geh-Hilfe in peppigen Farben aus eloxiertem Aluminium. Das Gerät verfügt über eine patentierten Griff, steckt voller pfiffiger Details und ist überhaupt todchic. „Durch die gelungene Gestaltung wird die Gebrechlichkeit des Benutzers nicht noch zusätzlich betont“, befand die nordrhein-westfälische Familienministerin Birgit Fischer.
Für so viel seniorenfreundliche Innovation und Feingefühl bedachte sie Khargo-Hersteller Morath beim Wettbewerb „Seniorenwirtschaft in Europa 2005“ mit einer lobenden Erwähnung. Verliehen wurden die Preise anlässlich der „1. Europäischen Konferenz zur Seniorenwirtschaft“, die jetzt in Bonn stattfand. Zwei Tage lang diskutierten hier rund 600 Teilnehmer auf Einladung der Landesinitiative Seniorenwirtschaft NRW, wie die Wirtschaft auf den demografischen Wandel reagieren kann. Der Wettbewerb sollte nach dem Willen der Veranstalter demonstrieren, wie Europa mit exemplarischen Produkten die Chancen des demografischen Wandels nutzen kann.
Weltweit altert die Bevölkerung, ein Trend, von dem insbesondere die hochentwickelten Industrienationen betroffen sind. In Deutschland ist heute schon jeder fünfte Bundesbürger über 60. In knapp 30 Jahren soll die Zahl nach offiziellen Schätzungen auf 25 Millionen steigen. Dieser Gruppe werden 14 Millionen Menschen unter 60 Jahren gegenüberstehen.
Diese wachsende Zielgruppe rückt nun mehr und mehr ins Visier der Wirtschaft, denn es handelt sich dabei nicht um bettlägerige Querulanten, sondern „um potente Kunden mit Zeit, Geld und guter Bildung“, wie Mitinitiator Claus Eppe vom Familienministerium festhält. Eine Maxime, auf die Wirtschaftsunternehmen nicht erst durch die Politik aufmerksam gemacht werden müssen. Die Rolle des Ministeriums sieht Pressereferentin Iris Schneider insbesondere darin, die „Rahmenbedingungen dafür zu schaffen“. Ziel dieser Konferenz, die auf die Initiative der Landesregierung zurückgeht, sei es nicht zuletzt, „einen Mentalitätswechsel herbeizuführen“, so Schneider. Die demografische Entwicklung solle nicht als „Vergreisung“ und Belastung gebrandmarkt, sondern als Chance begriffen werden. Die Landesinitiative Seniorenwirtschaft wolle mit dieser Konferenz einen „Paradigmenwechsel“ herbeiführen. Und der soll sich wirtschaftlich auszahlen. Rund 4,2 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen sind über 60 Jahre alt. 20 Prozent davon sind nach den Ausführungen des Landesvertreters arm, „in den Blick nehmen“ solle man nach Ansicht Eppes aber endlich mal die verbleibenden 80 Prozent. Schafft man es, diese als anspruchsvolle Kunden bewusst zu machen, eröffnen sich goldene Perspektiven. So hat der nordrhein-westfälische Handwerkskammertag ausgerechnet, dass allein mit seniorenfreundlichen Neu- und Umbaumaßnahmen ein Investitionsvolumen von 6,4 Milliarden Euro auszuschöpfen ist.
Die Frage, ob dieses „neue Denken“ nicht lediglich mit kaltem Kalkül auf die Geldbörse der Senioren schiele, will Eppe nicht gelten lassen. Seiner Meinung nach schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Auf der einen Seite profitiere die Wirtschaft von der Erschließung dieser Zielgruppe, auf der anderen Seite gehe damit aber auch eine Steigerung der Lebensqualität von Senioren einher. Ziel der Konferenz ist darüber hinaus eine Vernetzung auf europäischer Ebene. Die soll nach den Ausführungen Eppes dem Anliegen der Konferenz europaweit „mehr Gewicht“ verleihen. MARTIN OCHMANN