: Protest auf der Reaktorkuppel
ATOMKRAFT Die Sicherheit der Atomkraftwerke ist nicht gewährleistet, meint Greenpeace und liefert Anschauungsmaterial: Am Montag besetzten Aktivisten das AKW Unterweser
EON-SPRECHERIN
VON REIMAR PAUL
Es war eine spektakuläre Aktion: Am Montagmorgen überwanden Atomgegner der Umweltorganisation Greenpeace die Umzäunung des Atomkraftwerks Unterweser, erklommen in Bergsteigerausrüstung die Reaktorkuppel, bemalten sie mit einem Totenkopf und hissten eine Fahne mit der Aufschrift „Atomkraft schadet Deutschland“. Sie verlangten die sofortige Stilllegung des AKW und weiterer sechs alter Atomanlagen. Keiner von ihnen sei ausreichend gegen einen Flugzeugabsturz oder einen terroristischen Anschlag aus der Luft geschützt. Der Kraftwerksbetreiber Eon hielt sich zunächst zurück. Die rund zwanzig Kuppelbesetzer seien eindeutig als Greenpeace-Aktivisten zu erkennen gewesen, sagte eine Sprecherin. Deswegen wolle man zunächst auf eine polizeiliche Räumung verzichten. Die Besetzung dauerte am Nachmittag noch an.
Interne Dokumente des Bundeskriminalamtes zeigten, dass das Risiko eines schweren Reaktorunfalls durch einen Terrorangriff sehr hoch sei, sagte Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Bereits vergangene Woche hatte die Organisation aus einem Bericht der Internationalen Länderkommission Kerntechnik von 2002 zitiert, wonach nur 3 von heute 17 Reaktoren baulich einigermaßen gegen einen gezielten Flugzeugabsturz geschützt sind.
Aus Sicht der Grünen beweist schon die Greenpeace-Aktion erhebliche Sicherheitslücken. „Wenn Aktivisten fast ungehindert mit 60 Liter Farbe auf die Reaktorkuppel gelangen können, braucht man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Gefahren zum Beispiel von einer Terrorattacke drohen“, erklärte die Landtagsfraktion. Experten schätzten, dass die Kuppel der Atomanlage schon mit weniger als 60 Kilogramm Sprengstoff schwer beschädigt werden könnte.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) verwies auf einen zwei Jahre alten Bericht der Behörde zur Sicherheit älterer AKW. Danach steigt die Anzahl an Pannen und Störfällen mit dem Alter eines Atomkraftwerkes ständig an. Die Wände der Reaktoren, die vor 1980 gebaut wurden, sind nur ein Drittel so stark wie die von neueren Anlagen. Deswegen gebe es auch Probleme mit der Sicherheit bei Flugzeugabstürzen.
Mit einer elektrischen Leistung von 1.410 Megawatt ist das AKW Unterweser eines der größten in Deutschland. Trotz Bürgerprotesten ging das mit einem Druckwasserreaktor ausgerüstete Kraftwerk 1979 in den kommerziellen Betrieb. Bis heute wurden mehr als 320 Störfälle gemeldet. 1998 beispielsweise ging der Reaktor nach einer Reparatur aus Versehen mit gesperrten Sicherheitsventilen an einer Hauptdampfleitung in Betrieb. 1999 führte ein Leck an einem Stutzen der Hauptkühlmittelleitung zu erhöhter Radioaktivität in den Kraftwerksräumen, der Reaktor musste abgeschaltet werden. Zuletzt teilte Eon der Aufsichtsbehörde vor gut einer Woche einen Defekt im Reaktornotkühlsystem mit.
Gleichwohl bestreitet das Unternehmen jegliche Sicherheitsdefizite im AKW Unterweser. Die Greenpeace-Kletterei auf der Reaktorkuppel habe man ständig unter Kontrolle. „Das Eindringen auf das Kraftwerksgelände wurde wie vorgesehen durch das Überwinden des Detektionszauns erkannt. Das gestaffelte Objektsicherungskonzept hat funktioniert“ erklärte Eon. Einer der Kletterer erklärte dagegen, man habe auch beweisen wollen, „wie schnell man auf das Gelände kommen kann“. Und: „Wir wissen auch, dass Terroristen so etwas planen.“
Das Unternehmen wägt noch ab, ob es Strafanzeige erstatten soll. Das werde entschieden, sobald die Sachschäden ermittelt seien, sagte die Sprecherin.