: Sieg des Mutes
Südafrikanischer Film triumphiert in mittelmäßiger Berlinale
VON CRISTINA NORD
In der ersten Szene sieht man den Oberkörper und das Gesicht einer Frau vor schwarzem Hintergrund. Eine Stimme aus dem Off erklärt: „Die Augen stehen ein wenig zu schräg, die Lippen sind ein bisschen zu voll, das Gesicht eine Spur zu asymmetrisch.“ Trotzdem, heißt es weiter, erliege jeder der Anmut dieser Frau. Die Stimme spricht isiXhosa, das Gesicht gehört Pauline Malefane, der Hauptdarstellerin in der südafrikanischen Opernverfilmung „U-Carmen eKhayelitsha“. Der Regisseur Mark Dornford-May, ein Brite, der bisher am Theater tätig war, hat Georges Bizets „Carmen“ in die Gegenwart verlagert. Schauplatz ist Khayelitsha, eine Township von Kapstadt.
Am Samstagabend erhielt „U-Carmen eKhayelitsha“ den Goldenen Bären, den Hauptpreis der Berliner Filmfestspiele. Einstimmig und ohne lange Diskussionen habe man die Entscheidung getroffen, sagte Roland Emmerich, der Präsident der Jury. Überraschend war das Votum trotzdem, kursierten doch im Vorfeld der Preisverleihung ganz andere Filmtitel: „Paradise Now“ zum Beispiel, Hany Abu-Assads Film über zwei junge Selbstmordattentäter im Gaza-Streifen.
Ein Fehlurteil indes ist die Entscheidung der Jury nicht, im Gegenteil: „U-Carmen eKhayelitsha“ ragte aus dem eher durchschnittlichen Wettbewerbsprogramm der diesjährigen Berlinale heraus. Der Film hat viele Attraktionen: die fast dokumentarische Strenge, mit der die Hütten, Kneipen und Plätze der Township in Szene gesetzt werden, die von sich selbst berauschten Körper der Darsteller, den Verfremdungseffekt, der aus der Kombination der verbrauchten „Carmen“-Melodien mit den Klicklauten der Xhosa-Sprache resultiert. Das Zusammenspiel dieser Elemente erzeugt in „U-Carmen eKhayelitsha“ eine Ausgelassenheit, wie man sie selten im Kino erlebt. Dass der Film nun den wichtigsten Preis erhalten hat, ist ein gutes Signal – allgemein für das Engagement, das die Berlinale dem afrikanischen Filmschaffen gegenüber an den Tag legt, und konkret für die Aktivitäten in Südafrika, zum Beispiel für das deutsch-südafrikanische Koproduktionsabkommen.
Darüber freilich, dass der Wettbewerb in diesem Jahr durchschnittlich ausfiel, vermag die Juryentscheidung nicht hinwegzutäuschen. Zwar gab es mit Christian Petzolds „Gespenster“, Alexander Sokurovs „Solnze“ (Die Sonne) oder Tsai Ming-Liangs „The Wayward Cloud“ durchaus kühne Entwürfe. „Solnze“ etwa beobachtete den japanischen Kaiser im Sommer 1945. Eben noch genoss der Mann den Status eines Gottes, nun ist er zur Kapitulation gezwungen. Sokurov setzt diesen Machtverlust in einem konstanten Zwielicht in Szene, so dass sein Film nicht nur eine düstere Anmut, sondern auch eine traumähnliche Textur erhält. In diesem entrückten Zustand kann es dann schon mal passieren, dass die Flugzeuge, die Tokio bombardieren, die Gestalt fliegender Fische annehmen. Was Sokurov hier leistet, zeigt mit Nachdruck, welche Irrwege Filme wie „Der Untergang“ oder „Napola“ beschreiten: Eine historische Situation – hier der Niedergang eines mächtigen Mannes – in die Fiktion zu überführen, leistet viel mehr mehr als der naive Versuch, Geschichte so zu filmen, wie sie war. „Solnze“ zeigt, wie nah man dem historischen Sujet gerade dann kommt, wenn man sich von ihm entfernt.
Doch leider standen daneben zu viele Filme, die zwischen ihrem politischen Anspruch und dem Primat allgemeiner Zugänglichkeit die ästhetische Vision vergaßen. Zu viele mehr oder minder gelungene Polit- und Familiendramen, zu viel Konsenskino – das hatte in der Häufung von 22 Filmen etwas Ermüdendes. Den Wagemut sparte sich die diesjährige Berlinale für die Nebenreihen auf. Mehr davon hätte dem Hauptprogramm gut getan.
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