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Archiv-Artikel

Elf Freunde Alaaf in Rio am Rhing

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wird in Köln kurzerhand bis in den Karneval vorverlegt. Die nächste Session ist ein „Fastelovendsfoßballspill“ und Aschermittwoch erst im Juni. Schließlich lässt sich an so einem Ereignis auch prima verdienen

VON BERND MÜLLENDER

Vokabulär war das gestern eine sehr moderne Veranstaltung: Da war von „Köln als Host City“ und „Erlebnisdestination“ die Rede und von „Public Viewing Partys“. Fußballerisch versiert gaben die Referenten „Steilvorlagen“ und erklärten das WM-Büro der Stadt für „gut aufgestellt“.

Die IHK hatte zur „Sachstandsinformation“ geladen: Was wird aus Köln und der Fußball-WM 2006? Antwort: „Cologne - more than a city“ (offizieller Slogan) wird ein florierender Business-Park jenseits des banalen Balles. Horst Meyer, der WM-Beauftragte der Stadt Köln, schwärmte der lokalen Kaufmannschaft von „neuen wirtschaftlichen Impulsen“, und „sehr hoch einzuschätzenden Geschäftsmöglichkeiten“ vor. Kurz: Durch die Wirtschaft werde „ein Ruck gehen“, insbesondere in Gastronomie und Hotellerie, wo Großköln mit 350.000 zusätzlichen Übernachtungen rechnet.

Schon seit Aschermittwoch wissen wir, dass Köln auch jenseits des FC dem hoch virulenten morbus ball verfallen ist. Auch das Topereignis kölscher Hochkultur hat sich dem Spiel verschrieben: „E Fastelovendsfoßballspill“ lautet das Sessionsmotto 2006. Ein Karnevalsfußballspiel, bei dem FC-Stürmer Lukas Podolski womöglich Ehren-Prinz wird und im Rosenmontagszug kugelrunde Kamelle gekickt statt geworfen werden.

Anstoß Alaaf also. Vier Vorrundenspiele und ein Achtelfinale finden im Juni 2006 in Müngersdorf statt, das sind 450 Minuten WM-Show. Genug, damit jetzt schon „etwas wunderbares, etwas nahezu einmaliges in der Luft liegt“, wie die Stadt enthusiastisch vermeldet. Nur Oberbürgermeister Fritz Schramma fühlt noch unschlüssig: „Häufig, wenn ich bei den Heimspielen des 1. FC Köln sitze, die begeisterten Fans höre und die einmalige Stadionatmosphäre spüre, frag ich mich, wie mag das erst 2006 werden?“

Das muss man tatsächlich abwarten. Wird, etwa bei einem möglichen Spiel Uruguay - Elfenbeinküste, die Südkurve andere Heimatlieder singen? Was heißt Kölle auf uruös oder Hätz auf elbenbeinküstianisch? Egal - Köln nutzt die Chance zur Selbstdarstellung. Kosten für den Steuerzahler: fünf Millionen Euro. Von den Nebenevents werden „eine Fülle positiver Effekte ausgehen“, glaubt Stadtkämmerer Peter-Michael Soénius. Ausstellungen wird es geben, Musik, Bühnenshows, eine Fußballmesse und ein „Klang-Kunst-Festival“. Köln wirft dazu Wolfgang Overath als lokalen WM-Paten in die Waagschale. Der Gesinnungskölner sagt, er freue sich besonders, weil 1974, beim letzten Weltturnier in Deutschland, unverschämterweise nicht in Köln (und stattdessen auch noch in Düsseldorf) gespielt wurde.

Das Stadion gerät dabei zur Hochsicherheitszone, mit einem zwei Meter hohen Zaun über 2,5 Kilometer Länge. Die Anwohner, so der städtische WM-Mann, „müssen halt ihre sportlichen Geschäfte“ woanders ausüben. Ersatzweise wird „die gesamte Innenstadt einschließlich des Deutzer Rheinufers zu einer WM-City umgestaltet“. Meyer spricht von „Angeboten rund um die WM auf allen Plätzen“, darunter wird es zwei oder drei offizielle WM-Videoleinwände geben.

Privatleute und Unternehmen können weitere Großleinwände anbieten, müssen aber strenge Werberegeln einhalten, damit alles zum Frommen der Hauptsponsoren abläuft. Bei solchen „B-Events“, wie der Weltfußballverband Fifa das nennt, können zwar auch lokale Firmen mitwerben, aber nicht aus allen Branchen. Gestern nannte eine Fifa-Referentin ausdrücklich eine Freigabe für Kölner Kinos, Lebensmittelhändler, Handwerker, Makler.

Einen WM-Shop gibt es schon. Und WM-Münzen. Sie heißen „Kölner Gedenkprägungen“ und zeigen überraschenderweise den Dom mit Ball-Silhouette. Seit November gibt es für 7,50 EUR auch das Kölner WM-Poster. Es will „rheinische Fröhlichkeit, Fußballbegeisterung, Gastfreundschaft, Optimismus“ repräsentieren. Dargestellt ist eine impressionistische Konfetti-Melange aus Dom mit Herzchen und einem symbolischen Fußballplatz darin.

Überall soll der Fußball Gewinn abwerfen: „Wir erwarten erhebliche Umsatzsteigerungen.“ Die IHK formulierte das WM-Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ schon um: „Warum nicht auch Geschäftsfreunden?“ und empfiehlt der Businesswelt den rechtzeitigen Erwerb der Logen mit „exzellenter Hospitality“ und „Betreuuung durch Hostessen“. Die gibt es in der Prollvariante schon ab 1.900 Euro für drei Spiele oder für zehn Personen als „Sky Box Loge“ für alle fünf Spiele zu 120.000 Euro, wie der Regionalgeschäftsführer der Anbieterfirma iSe gestern erläuterte: „Mit den separaten Eingängen brauchen Sie nicht mit den gemeinen Fans ins Stadion.“

Auch das NRW-Fremdenverkehrsbüro will einen „Steilpass für die Tourismusbranche“ spielen, um die „Vermarktung der WM im In- und Ausland“ zu optimieren. Am Deutzer Rheinufer wird das brasilianische „WM-Dorf“ aufgeschlagen - so will Köln zum Rio am Rhein werden. OB Schramma meint vorfreudig, da passe doch vieles „gut zusammen“, denn der Rheinländer sei quasi der Brasilianer Deutschlands, lebensfroh, mit Spaß an Sport und Karneval.

Doch Köln wäre nicht Köln, wenn nicht gerade eine Karnevalsverquickung intensiv vermarktet würde. Deutz wird nämlich nicht nur Treffpunkt der Fans sein, sondern auch zu einer Art Openair-Showroom brasilianischer Wirtschaftsunternehmen. Köln-Tourismus hatte sich schon im Dezember in Sao Paulo mit dem „2006 Fifa World Cup Travel & Event Services“ um den Reiseveranstalter „Planeta Brasil“ bemüht. Erfolgreich: 60.000 Übernachtungen sind für die Brasilianer schon gebucht. Und das, obwohl Brasilien definitiv nicht in Köln spielen wird.

Schon am 26.6.2006, zweieinhalb Wochen vor dem Finale, ist für Köln WM-Aschermittwoch. Aber es gibt zwei gute Meldungen: Zum einen wird neben dem Sponsorengebräu Anhäuser Busch, so ein Fifa-Rednerin, „ein weiterer lokaler Brauer bei den Veranstaltungen außerhalb des Stadions“ erlaubt. Insider vermuten, dass Gaffel Kölsch von der Lex Colonia profitieren wird. Und vielleicht wird das Achtelfinale ja verlängert. Dann wäre aller Aufwand für 30 Minuten mehr. WM Alaaf.