: Das Verbrechen ist in der Krise
Zahl der Straftaten ist um 4,3 Prozent gesunken. Seit zwölf Jahren wurden in Berlin nicht mehr so wenige Verbrechen registriert. Deutliche Zunahmen nur bei Internetdelikten und Antisemitismus
VON PLUTONIA PLARRE
Berlin sei „ein wenig sicherer geworden“, lautet das Fazit von Polizeipräsident Dieter Glietsch, der gestern im Abgeordnetenhaus die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2004 vorstellte. Mit 539.667 erfassten Straftaten ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 4,3 Prozent zu verzeichnen. Es handelt sich um die niedrigste Fallzahl seit zwölf Jahren. Die Aufklärungsquote sank um etwas mehr als einen Prozentpunkt auf 48,5 Prozent.
Bei aller Freude über die „insgesamt positive Bilanz“, so Glietsch, sei das aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Insbesondere die hohe Kriminalität von jugendlichen Gruppengewalttätern nichtdeutscher Herkunft bereitet dem Polizeipräsidenten Sorge. Zwar sank die Jugenddelinquenz insgesamt um 7 Prozent auf den niedrigsten Wert seit der Wende, doch haben die Gewaltdelikte deutlich zugenommen: 9 Prozent mehr Raubtaten, 2,6 Prozent mehr Körperverletzungsdelikte und 32,2 Prozent mehr Bedrohungstaten.
Wie im Vorjahr sind 50 Prozent der erfassten Gruppengewalttäter Nichtdeutsche oder Deutsche nichtdeutscher Herkunft. Die alarmierend hohe Zahl sei Ausdruck des „Misserfolgs bei der Integration“, so Glietsch. Auch bei den übrigen Straftaten seien Jugendliche nichtdeutscher Herkunft, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, fast doppelt so oft vertreten wie gebürtige Deutsche. Bei Brandstiftung und Sachbeschädigung allerdings verhält es sich umgekehrt.
Die Schule ist nach Polizeierkenntnissen weiterhin kein Brennpunkt der Jugendgruppengewalt, wenngleich die Zahl der Fälle 2004 gewachsen ist. Von 8.050 Vorfällen ereigneten sich 410 in Schulen, 35 mehr als im Vorjahr.
Angestiegen ist auch die Anzahl rechtsextremistischer Straftaten von 944 (2003) auf 976. Vor allem die Zunahme von antisemitisch motivierten Straftaten um 18,7 Prozent, von 123 auf 146, mache ihm Sorge, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern. Dabei handelt es sich um Delikte wie Diffamierung jüdischer Institutionen und ihrer Vertreter durch Telefonanrufe, Propagieren der Auschwitz-Leugnung und Schmierereien an Gedenkstätten. „Hier müssen wir alle mit Zivilcourage dafür sorgen, dass sich ein judenfeindliches Klima gar nicht erst bilden kann“, so der Appell des Innensenators. Bei den fremdenfeindlichen Straftaten ist ein geringfügiger Rückgang von 150 Fällen (2003) auf 146 zu verzeichnen.
Den wohl deutlichsten Anstieg gab es bei Betrug mit Dateneingabe (plus 250 Prozent) und bei Warenbetrug (plus 56,7 Prozent). Laut dem Polizeipräsidenten wird dabei zunehmend das Internet als Aktionsplattform genutzt. „Neue Technik ermöglicht neue Kriminalität“, so Körtings Fazit. Früher habe es die Polizei mehr mit klassischer Eigentumskriminalität zu tun gehabt. Auch das Ausspähen von Geheimnummern am Geldautomaten mittels technischer Gerätschaften und die Herstellung von falschen Zahlungskarten scheinen in Mode zu kommen.
Bei den Rauschgiftdelikten ist ein statistischer Anstieg um 2,3 Prozent zu verzeichnen. Glietsch führt das auf mehrere Großverfahren zurück, die im vergangenen Jahr eingeleitet worden seien. Allem voran ist die Polizei gegen Erwerb und Besitz von Cannabis vorgegangen (plus 788 Fälle, 11,3 Prozent mehr als im Vorjahr). Bei den anderen Rauschmitteln ist die Deliktzahl dagegen zum Teil deutlich rückläufig: Heroin minus 5,3 Prozent, Kokain minus 36,9 Prozent. Beschlagnahmt wurden 294 Kilo Haschisch (116 Kilo mehr als im Vorjahr) aber nur 9 Kilo Heroin (2003 waren es noch 46 Kilo).
Dennoch kritisierte die CDU, die Sicherheit in Berlin nehme dramatisch ab. Ihr innenpolitischer Sprecher Frank Henkel nannte die Zunahme von Drogendelikten und Taschendiebstählen ein „Alarmzeichen“ und forderte wie üblich mehr Polizei auf der Straße.