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Archiv-Artikel

Häppchen zur Lage der Nation

Und wieder mal ist der ökonomische Zeitgeist entwischt: Das Freiburger Theater scheiterte grandios, aber immerhin couragiert am Versuch, den Entwicklungen unserer Wirtschaft auf die Spur zu kommen – „Hans im Glück oder Das Theater der Ökonomie“

VON DOROTHEA MARCUS

Sieben Autoren, mehr oder weniger politisch bewegt, jung genug, um die drohenden wirtschaftlichen Abgründe der Arbeitslosigkeit am eigenen Leib zu ahnen, schreiben je einen Text zu einer vorher ausgemachten Vorgabe. Ach nein, der Autor Werner Fritsch ist abgesprungen, als er das drohende Scheitern des Projekts bemerkte, da waren es nur noch sechs mutige Autoren. Um die „Ökonomie“ sollte es gehen: jenes Theater, aus dem unsere Welt doch in Wirklichkeit besteht. Das also ist „Hans im Glück oder Das Theater der Ökonomie“, das als besonders engagiertes Beispiel zeitnaher Reflexion am Theater gelten darf – und nun Premiere hatte.

Mit dem Märchen von Hans, der mit einem Goldklumpen auszog, um das Nichts einzutauschen, haben die entstandenen Texte nicht mehr viel zu tun – oder doch, sind wir nicht alle Hänsels, die vom System häppchenweise ruiniert werden und es doch zu lieben glauben, weil wir meinen, wir würden es selber machen? Das vermutet zumindest Moritz Rinke in seinem Beitragshäppchen „Zur Lage der Nation“. Ähnlich nahe kommt dem Märchen nur noch Felicia Zeller, die Hans in seine dritte Ehe steckt und über Leasingwagen schüttelreimen lässt – und in ihrem zweiten Stückchen eine Kündigungsfarce an sich selbst adressiert. Auch Tom Peuckert bezieht den Terror der Ökonomie ironisch auf sich selbst – was soll ein Autor, der doch auf Fortkommen und Fixkosten achten muss, für 1.500 Euro Honorar schon groß produzieren außer Akkordliteratur oder einer Drittverwertung und einen zusätzlichen Grund für sein Misslingen? Der ehemalige Betriebswirt Peter-Adrian Cohen stellt in dialogischen Textphrasen das vollkommen legale Selbstschlucken einer Aktienfirma bei größtmöglicher Bereicherung Einzelner dar; Alexander Müller-Elmau begreift das Leben als ein Roulette mit Endzeitstimmung; und Ulrich Hub hat allerlei Zwischenmenschlichkeiten dazwischengesetzt, hier ein wenig Business-Talk, dort ein Korruptionsaffärchen oder ein wenig Liebeskummer.

Eine unvollkommen redigierte, heterogene Textfetzensammlung, die uns doch wenigstens unterschiedlichste Autorenansichten und -arbeitsweisen nahe bringen könnte, wenn sie nicht auf einen eklatant falschen Regisseur gestoßen wäre. Denn der 1942 in Bagdad geborene David Mouchtar-Samurai wurde zwar bereits fünfmal zum Theatertreffen eingeladen, hatte aber in Freiburg nichts Besseres zu tun, als die Autorenunterschiede in der banalsten aller Rahmenhandlungen zu nivellieren: eine Cocktailparty. Dort können sie alle frei herumspringen, die Wirtschaftsbosse und frisch Entlassenen, die smarten Investmentbanker und gelangweilten Ehefrauen vom Pool, die türkischen Angestellten und selbst eine leicht bekleidete, gut gebaute Fortuna in Form einer feschen Statistin, nach der alle gierig grabschen. Eine kichernd kreischende Meute auf Endzeitsause, fletschende, reißende Hunde, die zu Lachsalven vom Band eruptiv in verschiedenste Gesprächsecken geschleudert werden. Da stehen sie nun mit ihren Sektgläsern und kleinen Schwarzen im gepflegten Partygeschwätz – tja.

Immerhin stehen sie in einem gelungenen Bühnenbild (Alexander Müller-Elmau): An der Wand sind mit Kreide gezackte Börsenkurs-Schicksale verewigt, darum windet sich ein Ziffernband wie bei n-tv, auf dem Boden liegt grüner Filz wie auf einem Rouletttisch oder Tennisplatz. Denn ob der Kapitalismus uns zerschmettert oder bequem auffängt, ist endgültig reiner Zufall geworden: Hilflose Spielfiguren sind wir, reine Zahlengrößen im diffusen Globalisierungsmatch.

Ansatzweise werden für dieses verbreitete Gefühl interessante Metaphern gefunden, wenn etwa Dienstmädchen Hülaya Karahan einen Monolog auf Türkisch hält und wir nur die Schlagworte „New Economy“, „Mikroökonomie“ oder „Adam Smith“ heraushören. Manchmal ahnt man, dass der Abend auch lustig hätte werden können: etwa wenn die halbgare Groteske entschieden zugespitzt und verfremdet wird, die Partygäste in Moritz Rinkes „Reformschule“ zu aufgeblasenen, verfetteten Deix-Männchen werden, die bis zum Hals in einem Metaphernbecken stecken, sich durch ein Reformrohr wälzen und vergeblich das Licht suchen, während Christiane Rossbach die „ruhige Hand“ zur Körperertüchtigung stemmt.

Slapstick. Immerhin. Wenn schon keiner das Potenzial erkennt, das ja auch im Titel steckt: Was passiert mit einer Gesellschaft, in der die Systeme nicht mehr hinterfragbar scheinen, sich jedoch zusehends selbst aushöhlen? Und überhaupt hätte man sich ja schon gefreut, den Reformgebeutelten ein wenig persönliche Anteilnahme spenden zu können. Doch so ist es eine ziel- und harmlose Kabarettveranstaltung geworden, visionslos, verlegen und leicht peinlich. Ein grandioses Scheitern, aber immerhin ein couragierter Versuch, den Zeitgeist einzuholen. Wieder ist er entwischt.