„In 5 Jahren eine andere Schule“

Anke Spoorendonk von der dänischen Minderheit bedauert, dass die CDU sich gegen die „Schule für alle“ einbetoniert hat. Sie will die gegliederte Schule schrittweise abschaffen. Weil nicht hinnehmbar ist, dass Herkunft über Lernerfolg entscheidet

INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Sie holen Rot-Grün in Schleswig-Holstein wieder an Bord. Ist damit alles klar zur Wende in der Schulpolitik?

Anke Spoorendonk: Noch ist gar nicht sicher, wie alles ausgehen wird. Aber wir haben lange vor der Wahl deutlich gemacht, wofür wir stehen. Wir sind bereit, eine Minderheitsregierung zu unterstützen – und haben daran Bedingungen geknüpft. Der Einstieg in die ungeteilte Schule gehört dazu. Das Land muss sich weiterentwickeln, es gab sehr viel Stillstand, auch in der Bildungspolitik.

Die Einführung einer „Schule für alle“ ist für den SSW eine Kardinalfrage. Wieso gerade Schulen, es gibt doch noch andere wichtige Themen?

Natürlich. Aber Schule ist deshalb so wichtig, weil wir nicht erst seit Pisa gesehen haben, dass das gegliederte Schulsystem nicht geeignet ist, schwache Schüler zu integrieren. Es ist nicht hinnehmbar, dass der soziale Hintergrund entscheidend dafür ist, dass Kinder Erfolg beim Lernen haben. Wir wollen auch, dass sie durch eine längere gemeinsame Schulzeit lernen, mehr soziale Verantwortung zu übernehmen. Das gegliederte Schulsystem ist unflexibel, statisch und wenig transparent. Es geht uns um Chancengleichheit – und die ist im gegliederten System nicht gegeben.

Womit könnte Peter-Harry Carstensen Sie noch auf seine Seite ziehen?

Wir werden selbstverständlich auch mit der CDU sprechen. Aber ich bedaure sehr, dass die Union sich nicht nur auf den Erhalt des gegliederten Schulsystems festgelegt, sondern ihre Haltung auch in Beton gegossen hat. Damit wir uns in Gesprächen näher kommen, müsste sich die CDU um 180 Grad drehen.

Letztendlich hat aber die CDU die meisten Stimmen bekommen und damit auch das von ihr verteidigte dreigliedrige Schulsystem. Ist es illegitim, der Mehrheit der Schleswig-Holsteiner jetzt ein dänisches Modell überzuhelfen?

So kann man das nicht sagen. Im Landtag sind fünf Fraktionen vertreten, und dort gibt es eine Mehrheit für die Änderung des Schulsystems. Es ist ja klar, dass man nichts überstülpen kann. Die Gemeinden müssen eingebunden werden. Und ohne die Eltern geht es nicht, das muss demokratisch laufen.

Wie überzeugen Sie jene Eltern, die CDU gewählt haben?

Ich gehe jede Wette ein, dass wir in fünf Jahren in Schleswig-Holstein eine andere Schulstruktur haben als heute – schon aus demografischen und auch aus finanziellen Gründen. Der Landesrechnungshof hat angemerkt, dass die Oberstufen der Gymnasien viel zu klein sind, und empfiehlt deshalb die Bildung von Oberstufenzentren. Mit dem gesparten Geld kann man den Grundschulbereich stärken. Wenn ich mal den Blick über die Grenze wage: Keine dänische Partei stellt die ungeteilte Schule in Frage. Die ist aber nicht vom Himmel gefallen. Alle haben begriffen, dass man ein gemeinsames Fundament braucht. Und erst dann kann man sich wirklich auf die Förderung der Kinder konzentrieren. Die Jugendlichen nördlich der Grenze sind in der Spitzengruppe, wenn es darum geht, die Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Das ist doch eine sehr tolle Sache.

Wie gelingt der Einstieg?

Man könnte sich ruhig mal die dänischen Schulen hier in Schleswig angucken. Das ist ein Prozess gewesen, der nicht ohne die Mitarbeit der Eltern ging. Der erste Schritt war Ende der 70er die Einführung der sechsjährigen Grundschule. Dafür hat man einen Spielraum im Schulgesetz genutzt. Das wäre ein Schritt, der auch heute im Interesse der Eltern ist.

Wann sollte dieser Prozess abgeschlossen sein?

Das wird zehn Jahre dauern. Wir sagen auch nicht, jetzt bauen wir ein neues Schloss, sondern man muss mit dem arbeiten, was schon möglich ist.

Die Schulen der dänischen Minderheit sind keine lupenreinen „ungeteilten“ Schulen – ab der siebten Klasse werden Kinder auch nach Leistung sortiert. Wird die ungeteilte Schule nur dem Anschein nach eine Schule für alle sein?

Gut, Gesamtschulen sind praktisch Teil des gegliederten Schulsystems. Aber sie können so strukturiert werden, dass Kinder sich niemals nur in einer Lerngruppe befinden, sondern nach jedem Halbjahr von Grundkursen zu weiterführenden Kursen wechseln können. Das erhöht die Durchlässigkeit und ist ein Anfang. Wünschenswert wäre es natürlich, die Gesamtschule umzuwidmen, aber das dauert noch mal zehn Jahre.

Wie wollen Sie die Kultusministerkonferenz überzeugen? Deren Regeln sind hart, wer davon abweicht, muss damit rechnen, dass Schulabschlüsse nicht anerkannt werden.

Das ist eine rein ideologische Diskussion. Uns interessiert erst mal nicht die Bundesebene, sondern das, was in Schleswig-Holstein möglich ist, ohne dass das Gefühl entsteht, es kommt zu einer Revolution.

Die Diskussion wird aber ideologisch geführt. Sie riskieren die Mobilität ihrer Schüler. Nehmen Sie das in Kauf?

Es ist ziemlich ätzend, dass man immer wieder per Knopfdruck sagt, ach Gott, das ist Bildungsdiskussion der 70er-Jahre mit anderen Mitteln. Man muss, wie überall in der Gesellschaft, die Frage von Inhalt und Struktur stellen dürfen. Werden Inhalte durch Strukturen gefördert oder konterkariert? Ich wundere mich, dass man in Wirtschaft und Verwaltung überhaupt nicht mit der Wimper zuckt, wenn es heißt, wir müssen Strukturen ändern. Nur im Bildungsbereich scheint das fast der Untergang des Abendlandes zu sein.