: IM JAHR DES OCHSEN: DORO RETTET GOETHE
VON CHRISTIAN Y. SCHMIDT
Ich gebe zu: Diese Kolumne war schon vor dem eigentlichen Ereignis fertig, jedenfalls in meinem Kopf. Das Musikprogramm, mit dem das hiesige Goethe-Institut unter der Überschrift „Total Berlin! Total Deutschland!“ – es fehlte „Total Krieg“ – uns Pekinger in diesem Juni bespaßen wollte, war nämlich wieder mal höchst bizarr. Eingeladen waren Bands, von denen man wohl nur bei Goethens überzeugt ist, sie seien in Deutschland „berühmt“, unter anderem die Heavy Metal Band Suidakra, die angebliche Punkband Vorzeigekinder, ein „Rockstar“ namens Kira („die mit dem Herzen singt“), die Gruppe Fotos und die Torpedo Boyz, dazu die Gothic-Rentner Deine Lakaien und zum zweiten Mal in Folge die Altmetallerin Doro Pesch. „Was Popmusik angeht“, hieß es, „sind sie es, die Berlin und Deutschland ganz und gar repräsentieren können.“
Vor allem diese gewagte Goethe-These wollte ich hier bezweifeln. Total Berlin? Laut Wikipedia kamen die meisten Musiker aus Monheim (Kreis Mettmann), Osterholz-Scharmbeck, Wuppertal und Landsberg. Nur die Werbejingleband Torpedo Boyz (Nestlé) hatte einen gebürtigen Berliner im Aufgebot. Bis auf Doro Pesch (New York) war also die totale Provinz nach Peking eingeflogen worden. Aber den Chinesen, so meint man wohl, kann man viel erzählen. Wenn es wenigstens interessante Bands gewesen wären. Doch das Meiste, was ich mir von ihnen vorher aus dem Netz gezogen hatte, klang langweilig bis tausendmal gehört. Genau das wollte ich an dieser Stelle geißeln, wobei der Text in einem Aufruf zur Abschaffung der Goethe-Institute gipfeln sollte. Wer den Einfluss dieser Kolumne kennt, weiß, dass das der Todesstoß für diese Einrichtung gewesen wäre. Immerhin habe ich schon mal einen Außenminister gestürzt. Na ja, fast.
Goethe wäre also demnächst nicht mehr, wäre ich zum Eröffnungsabend der Veranstaltungsreihe mit „original berlinerischster und deutschtester Popmusik“ (Goethe) einfach nicht hingegangen. Doch ich ging. Zunächst lief auch alles wie gedacht. Beim „VIP-Empfang“ vor dem Konzert wurde von ein paar hundert gelangweilten Chinesen erst das opulente Buffet, dann ein Brandenburger Tor aus Sahne verspachtelt. Danach spielten Fotos (vorletzter Platz beim diesjährigen Bundesvision Song Contest in Potsdam) auf der Bühne irgendwas, das wie der millionste Aufguss von Tomte klang, nur verdaddelter. Das hatte ich erwartet. Aber dann kam ausgerechnet Doro Pesch und zerschmetterte mir mit ein paar simplen Akkorden den ganzen schön zurechtgelegten Text.
Natürlich war das Musik, die sich zu Hause kein Mensch mit Ohren wirklich zumutet. Doch live klang sie plötzlich so frisch und kräftig, dass mich – genauso wie die plötzlich völlig enthusiasmierten Chinesen – eine Begeisterungswelle nach der anderen überkam. Woran das lag? Vielleicht nur daran, dass das hier nicht „deutschest“ war, denn schließlich waren bis auf die Exildeutsche Pesch die anderen Bandmitglieder Amerikaner. Dass sie Goethes deutschen Abend retteten: Eventuell denkt mal einer drüber nach.