: Das ganz große Geschnatter
Ein Hafenbarkasse bringt Vogelfreunde auf dem Rhein ganz nah an die Wildgänse. Vor allem Blässgänse überwintern am Niederrhein. Ab Mitte März fliegen sie wieder zurück in die Arktis
VOM ALTRHEIN STEPHAN SADOWSKI
Er hätte auch Sportreporter werden können. Im Parka und mit dem Mikrofon vor dem Mund strahlt Wolfgang Richard Müller auf der Hafenbarkasse Tribünentauglichkeit aus. Doch Müller ist Exkursionsleiter. Freiberuflich schippert und informiert er auf dem Altrhein. Sein Themenschwerpunkt: Alle Arten von arktischen Wildgänsen, die im Winter in die Reeser Ward oder an den Biener Altrhein ziehen.
„Wir werden uns nur auf dem Rhein bewegen, damit wir die Gänse an ihren Ruhestätten nicht stören“, sagt Müller – über Lautsprecher. Beim Ablegen gerät das Schiff dann ins Schlingern, Exkursions-Teilnehmer müssen sich an der Reling fest halten. Wenig später folgen ihre Blicke denen des Naturführers, peilend beobachten sie das Rheinufer. In der Ferne ist eine Gänseformationen zu erkennen. „Da – hinten sind Graugänse, vorne Blässgänse“, sagt der Hobby-Ornithologe. Seine Kenntnisse hat er sich autodidaktisch beigebracht hat. Trotz der Entfernung kann er die Arten bestimmen. Die Ferngläser folgen ihm, das Schiff bekommt Schlagseite.
Feuchtgebiete mit Wiesen und Weiden seien die optimalen Plätze für die Tiere, die zuvor bis zu 6.000 Kilometer zurückgelegt haben, um hier zu überwintern, meint Müller. Das Thermometer in ihrer Sommerheimat – in Nordskandinavien oder Sibirien – zeigt zweistellige Minusgrade. Dagegen ist der Niederrhein auch an frostigen Tagen angenehm mild.
„Da auf der Barke sitzt ein Kormoran“, sagt Müller. Langsam nähert sich das Schiff dem Ufer, als ihm Kapitän Hein Hell dazwischen funkt: „Aufgepasst, Gänse im Anflug!“ Das tuckernde Schiff scheint sie nicht zu stören – in einer Hundertschaft fliegen sie darüber hinweg, verdunkeln den Himmel und verbreiten großes Schnattern: „Es ist ganz selten, dass sie so nah kommen – das sind Blässgänse, die wollen auf dem Rhein trinken“, ruft Müller überschwänglich.
Den Angler hingegen, der bei Flusskilometer 840 am Ufer fischt, meiden die Tiere. „Vor einzelnen Menschen haben die Vögel in freier Wildbahn Angst“, erklärt der Fachmann. Die Gänse tragen ihren Namen aufgrund ihrer Blässe, die sie mit zunehmenden Alter zur Schau tragen. „Die Jungtiere besitzen noch nicht die hellen Stellen am Stirnansatz über dem Schnabel“, sagt Müller. Er wiederholt das, damit auch niemand etwas verpasst. Albert Hullen steht derweil in der Menge, blättert in Parey‘s Vogelbuch, vergleicht die Ansagen des Exkursionsleiters. Er nickt zustimmend. Irgendwann lässt er das Vogelbuch in der Tasche und schaut nur noch durchs Fernglas.
Auf dem Wasser der neuen Abgrabungen lassen sich die Gänse nachts gerne nieder. Müller nennt die Gründe: „Weil das Wasser dort am klarsten ist und weil sie nicht von natürlichen Feinden, wie dem Fuchs, bedroht werden können.“
Neben den Gänsen gibt es hier noch viele andere Vogelarten an dem sonnigen Nachmittag zu sehen: Blässrallen, Krickenten oder die Schellente, auch ein Mäusebussard dreht Runden. Schiffseigner Hein Hell, der seit fünf Jahren die Exkursionen anbietet, liefert die lokalen Details: Wann die Reeser Brücke zum Einsturz kam oder wo die Alliierten den Rhein das erste Mal überquert haben – auch das kommt an bei den Gänsefreunden.
Mittlerweile nimmt die Barkasse wieder Kurs auf Grieth, rheinabwärts. Der Wind pfeift, die untergehende Sonne lässt ein Gänsegeschwader am Winterhimmel erstrahlen. Mitte März kehren sie zurück in ihre arktischen Sommerquartiere.