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Archiv-Artikel

Handel versus Verbraucherschutz

Was wir essen, wird längst nicht mehr nur in Berlin oder in Brüssel entschieden. Fast sieben Prozent der international gehandelten land- und ernährungswirtschaftlichen Güter werden nach Deutschland eingeführt. Um international gültige Qualitätsstandards wird hart gerungen

VON PIA M. SOMMER

Bananen aus Kolumbien, Wein aus Australien, Geflügel aus Brasilien – bei uns kommen viele importierte Lebensmittel auf den Tisch. Die Bundesrepublik ist weltweit zweitgrößter Agrarimporteur. Fast 7 Prozent der international gehandelten land- und ernährungswirtschaftlichen Güter werden nach Deutschland eingeführt. Viele Verbraucher schätzen es, fast jedes Nahrungsmittel zu jeder Jahreszeit kaufen und ihren Speiseplan durch exotische Früchte bereichern zu können. Gleichwohl importiert der internationale Agrarhandel bisweilen auch Probleme: Schimmelpilzgift in Nüssen und Pistazien, Pestizide in Obst und Gemüse oder Rückstände von Antibiotika sind nur einige Beispiele, die in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen sorgten. Denn was wir essen, wird längst nicht mehr nur hier oder in Brüssel entschieden.

Schon vor über 40 Jahren erkannten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) die Notwendigkeit internationaler Richtlinien für Lebensmittel und riefen 1963 den Codex Alimentarius ins Leben. Sein Ziel ist es, die Gesundheit von Verbrauchern zu schützen, den globalen Handel mit Nahrungsmitteln fair zu gestalten und Lebensmittelvorschriften weltweit zu koordinieren. Zu diesem Zweck entwickelt die Codex-Alimentarius-Kommission international abgestimmte Lebensmittelstandards, Empfehlungen und Richtlinien, die als Orientierung für den weltweiten Lebensmittelhandel und nationale Rechtsvorschriften dienen sollen. Derzeit sind über 160 Staaten in der Codex-Alimentarius-Kommission vertreten, außerdem nehmen Organisationen wie die FAO, WHO oder die Welthandelsorganisation (WTO) und Nichtregierungsorganisationen an den Sitzungen als Beobachter teil.

Die Codex-Standards sind zwar nicht direkt bindend, erlangen jedoch zunehmend rechtliche Bedeutung durch Übereinkommen mit der Welthandelsorganisation (WTO), bei denen der Codex als Referenznorm dient. So soll ein barrierefreier Welthandel sichergestellt werden. Konkret: Beschließt die Bundesregierung ein neues Gesetz zur Lebensmittelsicherheit, das über den internationalen Standard im Codex Alimentarius hinausgeht, kann die WTO dies als Handelshemmnis anfechten. Die Bundesregierung muss dann anhand wissenschaftlicher Daten nachweisen, dass die Regelung aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist, zum Beispiel weil die Verzehrgewohnheiten im Land spezielle sind. Die Beweislast liegt also bei jenen, die höhere Standards für Verbraucherschutz wollen.

Zudem können bestehende nationale Regelungen durch den Codex Alimentarius unterschritten werden. So hat die Kommission bei ihrer letzten Sitzung Mitte 2004 einen Höchstwert für das Konservierungsmittel Benzoesäure in Getränken beschlossen, der viermal so hoch ist wie der bisher in Europa zugelassene Wert. Als die EU und ihre Mitgliedsstaaten gegen diesen Wert protestierten, kam ein Kompromiss heraus, nach dem für den neuen Wert zunächst eine dreijährige Testphase gelten soll.

Kritiker beobachten solche Regelungen mit wachsendem Unbehagen. Standards, die nur noch dem kleinsten gemeinsamen Nenner entsprechen, bedeuten für Verbraucher vielfach eine Verschlechterung der gewohnten Qualität bei Lebensmitteln. Verbraucherschutz dürfe nicht durch Handelsinteressen aufgeweicht werden, fordert daher der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Clara Meynen vom vzbv sieht dabei mehr als vorsorgliche Regelungen zum Gesundheitsschutz gefährdet. Viele Konsumenten interessiere nicht nur die Sicherheit von Nahrungsmitteln, sondern auch deren Herstellungsprozess. „Um für Verbraucher Transparenz und Wahlfreiheit zu schaffen, muss es möglich sein, Produkte zu kennzeichnen.“ Das könnte zum Beispiel im Falle Gentechnik schwierig werden. Denn nach der geltenden EU-Verordnung müssen nicht nur solche Lebensmittel deklariert sein, in denen gentechnisch veränderte Zutaten nachweisbar sind. Auszuweisen sind auch solche, die aus gentechnisch veränderten Erzeugnissen hergestellt wurden, die aber im Endprodukt nicht mehr nachweisbar sind. Die USA haben bereits angekündigt, dass sie diese Art der Kennzeichnung für unzulässig halten. Eine Klage vor der WTO könnte folgen, sofern die Codex-Kommission die geltende EU-Verordnung nicht als mögliche Kennzeichnungsregelung akzeptiert.

www.codexalimentarius.net