: Die Gurke zum Solo
Erinnert sich eigentlich noch jemand an die Aufgeregtheit um die Incredibly Strange Music vor ein paar Jahren? Als plötzlich alle das Archiv nach abgedrehten Seltsamkeiten durchforschten, speziell bei der Lounge Music, wo dann zuerst wirkliche Schätze wie das exaltierte Schaffen etwa von Yma Sumac oder meinetwegen die geschmackvoll manirierten Arrangements von Esquivel neu gehoben wurden, bis sich dann die Sammler und Jäger auf den Flohmärkten in den Platten von James Last verirrten. Der Trend ist vorbei. Aber natürlich gibt es weiterhin incredibly strange music, und es mehren sich die Hinweise, dass Gemüse der neue Hype sein könnte.
Jedenfalls schaffte es Junji Koyama mit seinem Spiel auf Karottenflöten oder einer aus Pestwurz gebastelten Oboe in Japan bereits zum YouTube-Star, wobei das popmusikgeschichtlich natürlich ein alter Hut ist. Als einer der Virtuosen des Gemüsebespielens muss zum Beispiel Paul McCartney gelten, der für die Beach Boys bei deren „Smiley Smile“-Album rhythmisch die Karotte kaute, natürlich bei dem Song „Vegetables“, und später machte er das als echter Karottenprofi nochmals für die Super Furry Animals bei deren „Receptacle for the Respectable“.
Das muss jetzt aber auch zu der Frage führen, wie es das Gemüse eigentlich selbst mit der Musik hält? Offenbar finden Mimosen dabei Gefallen an indischen Ragas, wie ein Botaniker herausgefunden hat. Jedenfalls gediehen die bespielten Pflanzen deutlich besser als die aus der Kontrollgruppe, die keine Musik hören durften. Andererseits: Monotone Musik macht Pflanzen matt. Ausdauernd mit dem Ton F beschallte Radieschen oder Mais waren innerhalb von Tagen hinweggerafft. Und Kürbisse lieben Schubert und Brahms, denen sie ganz wörtlich beim Hören zuwachsen, während sie den Rock hassen und sich möglichst weit weg von dieser Schallquelle ranken, wie im Mai-Heft von Universitas, Schwerpunktthema „Vom Luxus der Stille“, zu lesen ist.
So intim mit den persönlichen Vorlieben ihres Instrumentariums setzt man sich dann beim Vienna Vegetable Orchestra dann doch nicht auseinander und folgt lieber den eigenen Klangvorstellungen und was halt überhaupt hörbar gemacht werden kann mit Lauchgeigen, Paprikatröten oder dem Gurkofon, deren sensiblen Töne via Mikrofon etwas verstärkt werden. Das klingt, auf den Platten des Wiener Gemüseorchesters ist es zu hören, ganz wunderbar. Unglaublich seltsame Musik. Und im Anschluss an die Konzerte wird das Instrumentarium als Suppe verspeist. THOMAS MAUCH
■ Vegetable Orchestra: Radialsystem, Dienstag, 30. Juni, 20 Uhr