: Die Blankovollmacht
Nicht erst Rot-Grün übertrug Sicherheitskontrollen von Touristen an privat. Aber Fischer und Schily machten es perfekt – für den Missbrauch
BERLIN taz ■ Die Treffen Karl Rakerseders vom ADAC mit Beamten der Regierung Helmut Kohl (CDU) markierte einen neuen Abschnitt in der deutschen Visumpolitik. Damals, es waren die Jahre 1995 und 1996, begann die Bundesrepublik, sicherheitsrelevante Fragen an Touristen auf eine private Organisation zu übertragen – den ADAC. Diese Übertragung hoheitlicher Aufgaben an private Dienstleister gilt in der Innenpolitik heute als besonders modern. In der Außenpolitik ist sie ungewöhnlich.
Rakerseder vereinbarte mit den Leuten aus dem Innenministerium, dass der ADAC so genannte Carnets de Touriste für Osteuropäer ausstellen darf. Die Carnets erleichterten die Einreise nach Deutschland erheblich. Denn sie versicherten die Touristen im Krankheitsfall – und sie übernahmen, für den Fall der Fälle, „Abschiebungskosten bis zu einem Gesamtbetrag von 5.000 DM“. So steht es in einem Brief vom 18. August 95 aus dem Hause des damaligen Innenministers Manfred Kanther (CDU) an seine Länderkollegen.
Der ADAC ließ 200.000 Carnets drucken und verkaufte sie an seine osteuropäischen Partnerclubs. Auch die Föderation der Automobilisten der Ukraine erhielt 75.000 Carnets. Allerdings hatte der ukrainische ADAC einen konkreten staatlichen Auftrag aus Deutschland zu erfüllen. Er musste, ehe er die Carnets aushändigte, den Kunden Fragen stellen: nach dem Pass, der Arbeitsbescheinigung inklusive eines Lohnstreifens – obendrein wurde eine Kaution verlangt. Damit war das System begründet, das Rot-Grün kurz nach Amtsantritt ausbaute – so weit, dass es dem Missbrauch Tür und Tor öffnete.
Die Häuser von Innenminister Otto Schily (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) nämlich überließen die Abfrage von Touristen komplett den Privaten. Am 15. Oktober 1999 befreiten sie deutsche Konsularbeamte per Erlass davon, Touristen mit einem Carnet weiterzubefragen. Das hieß: Ein Carnet war gleichbedeutend mit einem Visum.
Zusätzlich hob Rot-Grün das ADAC-Monopol auf und belebte dadurch das Geschäft auf eigentümliche Art. Denn jene Firmen, die Rot-Grün ab Mitte 2001 damit betraute, einen dem Carnet ähnlichen Reiseschutzpass zu vertreiben, waren teilweise oder ganz in der Hand von Schleuserbanden. CHRISTIAN FÜLLER