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Archiv-Artikel

Geisteswissenschaften haben ihren Preis

Das Land lobt einen Millionen schweren Forschungspreis für Geisteswissenschaftler aus und sieht sich als Trendsetter. Universitätsangehörige sollen Problemlösungen für eine friedlichere und alternde Gesellschaft entwickeln

DÜSSELDORF taz ■ Die Kulturwissenschaften haben es schwer. Nanoforscher und Biotechnologen kommen eindeutig leichter an private und öffentliche Forschungsmittel und sind von Kürzungen weniger bedroht. Und so hatte es schon fast etwas von Sensation, als gestern NRWs Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) einen neuen Exzellenzwettbewerb für Geisteswissenschaftler vorstellte.

3,5 Millionen Euro sind im Topf und können bis Ende 2006 für 30 bis 35 Forschungsvorhaben ausgegeben werden. Keine riesige Summe angesichts der Millionenbeträge, die Physiker oder Ingenieure für Forschung benötigen. Aber in Zeiten leerer öffentlicher Kassen ist es durchaus ein Zeichen, das die NRW-Landesregierung hier setzen will.

„Im CDU-regierten Hamburg werden die Geisteswissenschaften regelrecht platt gemacht“, sagt Kraft angesichts der dort bevorstehenden Schließung ganzer Fachbereiche und einer Neuausrichtung der Hochschulen auf die „harten“ Wissenschaften. Und auch einen Seitenhieb auf die Blockade der unionsgeführten Länder gegen die vom Bund geplante Exzellenzinitiative um die so genannten Eliteuniversitäten gab es von der Ministerin: „Für uns kann nur die Champions-League der Universitäten der Maßstab sein – ginge es nach der CDU, würden wir bald in der Regionalliga spielen.“

Um dies zu vermeiden, will die Landesregierung jetzt die Initiative ergreifen und sieht sich dabei sogar bundesweit als Vorreiter. Das freute jedenfalls auch Jörn Rüsen, den Präsidenten des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen: „Die Geisteswissenschaften erfahren dadurch die Anerkennung, die notwendig ist. Denn ohne wissenschaftlich fundierte kulturelle Orientierungen gibt es für unsere Gesellschaft keine tragfähige Zukunftsperspektive.“ Als Forschungseinrichtung des Landes hat das KWI die Federführung in dem Programm bekommen.

Zwei Schwerpunkte stehen im Vordergrund des Wettbewerbs. Zum einen soll es um die von allerlei Konflikten bedrohte „friedfertige Gesellschaft“ gehen und zum zweiten um die „Lebenspraxis und Kultur in alternden Gesellschaften“. Beide gelten als Problemfelder der Zukunft, auf denen die Technik allein keine Orientierung und Hilfe verspricht.

Angesprochen sind alle Geistes- und Kulturwissenschaftler, die sich mit Sprache, Philosophie, Medien, Kunst, Erziehung, Geschichte, Bildung oder Gesellschaft auseinander setzen. Bis Mitte April können sich Forscher aus NRW-Universitäten bewerben. Eine Jury wählt dann die besten Vorschläge aus, im Juni sollen die Projekte starten. Unbürokratisch soll das Verfahren sein, verspricht Rüsen. Keinesfalls 80seitige Projektanträge werden erwartet, sondern präzise Vorschläge, aus denen der gesellschaftliche Nutzen klar hervorgeht. Geisteswissenschaft solle hier nicht – wie immer noch häufig der Fall – als Selbstzweck betrieben werden. „Damit werden wir aus unserer Routine und Selbstgenügsamkeit gerissen“, so der Historiker, „ein Effekt, den wir sehr begrüßen.“ HOLGER ELFES