: Der verblasste Mythos vom hippen Guerillero
In den 70er-Jahren hatte die „Bewegung 2. Juni“ viele Fans unter den Linken. Sie galt als Guerilla mit menschlichem Antlitz. Das war mehr Schein als Sein. Heutigen AktivistInnen ist das kaum noch verständlich
VON FELIX LEE
Bei einem Banküberfall verteilte ein Kommando der „Bewegung 2. Juni“ Schokoküsse an die verschreckten Kunden. Ein anderer Überfall wurde abgeblasen, weil eine junge Frau mit Kinderwagen die Bank betrat. Und selbst der 1975 von den bewaffneten Kämpfern entführte CDU-Politiker Peter Lorenz gab zu, dass er während seiner Geiselnahme durchaus Sympathien zu seinen Kidnappern hegte. Maskiert hätten seine Bewacher mit ihm Schach gespielt und zum Ohnsorg-Theater im Fernsehen gelacht. Auch seine zerrissene Hose hätten sie ihm geflickt.
Zu Beginn der politisch bewegten 70er-Jahre gab es viele linke Guerillagruppen. Aber keine war so populär wie die „Bewegung 2. Juni“ aus Westberlin – benannt nach den tödlichen Polizeischüssen auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. So militant die Aktionen auch waren, ihrem antiautoritären Credo wollte die Gruppe treu bleiben. Unnötige Opfer sollten vermieden werden. Denn ihr Ziel blieb, dass sie es sich nicht mit der linken Bewegung verscherzen wollten.
Das unterschied die Westberliner Guerilleros von der RAF, die zeitgleich in Westdeutschland für Unruhe sorgte. Während die RAF ihren bewaffneten Kampf aus einem kühlen marxistisch-leninistischen Revolutionsmodell herleitete, verstanden sich die bunten 2.Juni-AktivistInnen eher als bewaffneter Arm der legalen Linken denn als revolutionäre Avantgarde. Sie wollten die vermeintliche Übermacht des Staates nur an symbolischen Punkten brechen – und glaubten nicht, mit einer Hand voll Leuten die Revolution zu entfachen.
Dazu gehörte auch, die Kultur der außerparlamentarischen Linken aufzugreifen. Ihr positiver Bezug zu Haschisch, Spaß und Spontaneität stand im Kontrast zur RAF, die diese wiederum als „lumpenproletarische Hippies“ beschimpften. Der „2. Juni“ wollte bewaffneten Kampf mit menschlichem Antlitz.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Es dauerte nicht lange, bis auch in Westberlin das erste Blut floss. Bei einem missglückten Entführungsversuch erschoss ein Kommando den Kammergerichtspräsidenten Günther von Drenkmann. Ein Rentner starb beim Fund einer Bombe, die ebenfalls auf das Konto des 2. Juni ging. Und die Gegenseite gab sich nicht mal im Ansatz die Mühe, die feinen Unterschiede zur RAF zu beachten. Bei der Jagd gegen die „roten Terroristen“ kamen unter anderem Georg von Rauch und Thomas Weißbecker ums Leben, beides Mitglieder der Bewegung 2. Juni.
Mit wachsender Polarisierung sank auch die Unterstützung in der legalen Linken. Zwar verteilten SympathisantInnen in den Tagen nach der Lorenz-Entführung noch über 30.000 Flugblätter der Guerillagruppe. Doch danach wurde immer häufiger die Frage gestellt, wie die Kidnapper reagiert hätten, wenn die Entführung nicht geglückt wäre.
Mit der blutigen Geiselnahme der RAF in Stockholm war es mit der kurzen Sympathiewelle auch in vielen Teilen der Linken vorbei – obwohl die Westberliner Guerilleros mit Stockholm nichts zu tun hatten. Endgültig verspielt war der Popfaktor, als Ende der 70er Mitglieder der Bewegung 2. Juni ausgerechnet zur RAF übertraten, von der sie sich zuvor so abgrenzten. Prominente der ersten Stunde wie Bommi Baumann und Fritz Teufel hatten dem bewaffneten Kampf bereits nach den ersten Todesschüssen den Rücken gekehrt. Die übrig Gebliebenen waren verhaftet, einige geflüchtet, und alle waren sie untereinander zerstritten. 1980 löste sich die Bewegung 2. Juni auf.
Auch das Schicksal der bei der Lorenz-Entführung frei gepressten fünf Gefangenen fand ein tragisches Ende. Vier von ihnen wurden bald wieder festgenommen. Eine kam bei Kämpfen gegen die israelische Armee ums Leben. Zum heroischen Vorbild für die Linke taugte das nicht.
Schon mit dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen wie dem Häuserkampf zu Beginn der 80er-Jahre verlagerten sich die Debatten weg vom bewaffneten Kampf im Untergrund hin zu Konzepten der Massenmilitanz. 30 Jahre nach der Lorenz-Entführung sind jüngeren AktivistInnen selbst solchen Diskussionen fremd. Zudem haben die Protagonisten von damals ihre Biografien ausgepackt. Dabei wurde klar, dass der antiautoritäre Anspruch spätestens mit dem Untertauchen in die Illegalität mehr Schein als Sein war.
Eine Auseinandersetzung mit den Akteuren von damals gibt es fast nur, wenn sie heute noch auftreten. Einige sind noch in linksradikalen Zusammenhängen aktiv – etwa wenn es um den 1. Mai in Kreuzberg geht. Dass gerade dieser Tag immer mehr seinen politischen Hip-Faktor einbüßt, ist nicht zuletzt diesen Altaktivisten zu verdanken.