Was das menschliche Gehirn alles vermag

AUTOREN Ein Plädoyer dafür, schwierige Romane zu lesen – insbesondere das überwältigende Werk „Unendlicher Spaß“

■ geb. 1970 in Chicago, war mit David Foster Wallace befreundet. Er ist einer der bekanntesten US-amerikanischen Autoren der jüngeren Generation.

Diesen Essay schrieb Eggers als Vorwort der amerikanischen Ausgabe von „Infinite Jest“ (so der Originaltitel von „Unendlicher Spaß“) aus dem Jahr 2006. Wir drucken die Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepenheuer & Witsch.

Bekannt wurde Eggers durch seinen Roman „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität“, der ihn auf der Stelle zum literarischen Star machte. Darin erzählt er die Geschichte seiner Familie in den Suburbs von Chicago, vom Krebstot seiner Eltern und seiner plötzlichen Verantwortung als Ersatzvater seines damals achtjährigen Bruders.

Viel diskutiert wurde auch Eggers’ 2008 erschienenes Buch „Weit gegangen“, in dem er das Leben des Valentino Achak Deng beschreibt, eines Flüchtlingsjungen aus dem Sudan, der mit vielen anderen Kindern über 1.000 Kilometer zu Fuß nach Äthiopien gewandert ist und nach vielen Irrungen in den USA landete.

Zudem schrieb Eggers das Drehbuch für den Film „Bei den wilden Kerlen“. Starttermin: 22. Oktober. Das zugehörige Buch erscheint im September bei Kiepenheuer & Witsch.

VON DAVE EGGERS

In den vergangenen Jahren gab es einige literarische Scharmützel – wie absurd angesichts einer Welt, die sich ständig im Krieg befindet! – um die Lesbarkeit im zeitgenössischen Roman. Im Wesentlichen vertreten manche Leute die Meinung, dass erzählende Literatur leicht lesbar sein sollte und dass sie ein populäres Medium ist, das auf einer relativ unterhaltsamen Wellenlänge kommunizieren sollte. Andere wiederum sind der Meinung, dass Romane anspruchsvoll sein können, grundsätzlich und thematisch und sogar auf einer Satz-für-Satz-Ebene – dass es ganz in Ordnung ist, wenn man sich beim Lesen ein bisschen anstrengen muss, weil der Gewinn umso größer ist, wenn der Verstand gefordert und somit (wahrscheinlich) erweitert wird.

Pseudokultivierte Diskussionen werden häufig durch Extremedenker auf beiden Seiten polarisiert, und ganz ähnlich verhält es sich in obigem Fall. Die Frage wurde zu einer Entweder-oder-Frage deklariert, als hätte die Welt nur Platz für eine Sorte erzählender Literatur, als müsste die andere Sorte untersagt werden, als gehörten ihre Vertreter zur Strecke gebracht und – warum nicht? – in Stücke gehackt.

Aber während die Polarisierer aufeinander einschlagen, hat eine stumme Schar von Lesern, vielleicht sogar die Mehrheit der Leser von erzählender Literatur, nichts dagegen, von beidem etwas zu bekommen. Diese Leser glauben, wenngleich sie ihre Meinung nicht allzu offen kundtun, dass schwierige Bücher neben einer leichter verdaulichen Literatur bestehen können, dass sogar eine laszive Kontaktaufnahme zwischen beiden Spielarten möglich ist. Tatsächlich lesen sie beide Sorten von Romanen, manchmal in ein und derselben Woche. Vielleicht gibt es sogar – obwohl das unmöglich zu beweisen ist – Leser, die es für denkbar halten, an einem Tag Thomas Pynchon zu genießen und am nächsten Tag Elmore Leonard. Oder sogar Leser, die sich am Vormittag mit Jonathan Franzen vergnügen und abends mit William Gaddis ringen.

Bücher sollen unterhalten

David Foster Wallace schafft schon lange den Spagat zwischen schwer und weniger schwer, wobei die meisten Leser darin übereinstimmen, dass seine Essays leichter zu lesen sind als seine erzählenden Werke und dass seine journalistischen Texte überhaupt am zugänglichsten sind. Doch während sein Werk anspruchsvoll ist, bleibt sein Ton radikal unprätentiös, ganz gleich, mit welcher Form er sich auseinandersetzt. Ein Wallace-Leser hat das Gefühl, als wäre er mit einem gesprächigen und intelligenten Onkel oder Cousin zusammen, der immer dann, wenn er es gerade zu weit treibt, wenn er unsere Geduld mit allzu vielen Details überstrapaziert, klug genug ist, einen netten niveaulosen Witz einzustreuen. Wie so viele andere Schriftsteller, die ansonsten überschlau wirken könnten – wie beispielsweise Bellow – hat Wallace ebenso wie Bellow stets seine Leser im Sinn. Er vergisst nie, dass Bücher vor allem unterhalten sollen, und tariert seine Prosa mit nahezu unfehlbarem Gespür dementsprechend aus. Das war schon vor diesem Buch seit Jahren typisch für Wallace. Er galt bereits als äußerst kluger und anspruchsvoller und komischer und sagenhaft begabter Schriftsteller, bevor „Unendlicher Spaß“ 1996 im Original erschien, und danach waren alle genannten Adjektive fest mit seinem Namen verbunden – plus folgendem: Heiliger Strohsack.

Nein, das ist genau genommen natürlich kein Adjektiv. Aber Sie verstehen, was ich meine. Das Buch ist 1.547 Seiten lang, und es gibt nicht einen einzigen müßigen Satz. Das Buch ist straff geschrieben und kompromisslos klug, und obwohl es nicht geschwätzig daherkommt, ist es doch gefühlvoll und unglaublich ergreifend. Dass es innerhalb von drei Jahren von einem nicht mal fünfunddreißigjährigen Autor geschrieben wurde, ist ein schmerzlicher Gedanke. Also denken wir lieber nicht weiter darüber nach. Entscheidend ist, dass Sie das Buch nun in Händen halten können, weil es das alles ist: bejubelt, einschüchternd, unmüßig, straff geschrieben, sehr lustig (das hatten wir bislang noch nicht erwähnt). Und jetzt lautet die Frage: Werden Sie es auch wirklich lesen?

Als der Verlag dieses Vorwort in Auftrag gab, wünschte er sich einen äußerst knappen, munteren Essay, der neue Leser von „Unendlicher Spaß“ davon überzeugen möge, dass das Buch leicht zugänglich, ja unanstrengend sei – eine zum Schreien komische und unterhaltsame Lektüre. Nun ja. Ersterem stimmt man gern zu, mit Letzterem wird es schon schwieriger. Ja, das Buch ist leicht zugänglich, weil es nicht um komplexe wissenschaftliche oder historische Zusammenhänge geht und keine besondere Vorbildung oder Gelehrsamkeit vonnöten ist. Es ist wortreich und es ist umfangreich, aber es straft niemanden für mangelnde Kenntnisse, und es macht auch nicht alle paar Seiten den Griff zum Wörterbuch erforderlich. Dennoch, auch wenn sein Wortschatz vertraut ist, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass „Unendlicher Spaß“ etwas ganz anderes ist. Das heißt, es hat kaum Ähnlichkeit mit irgendwelchen Vorläufern, und Vergleiche zu allem, was danach kam, sind aussichtslos und hohl. Es war 1996 einzig in seiner Art, grundverschieden von praktisch allem, was es bis dato gab. Es trotzte jeder Kategorisierung und vereitelte alle Anstrengungen, es zu demontieren und zu erläutern.

Schlaue Leser können die meisten zeitgenössischen Romane in ihre Einzelteile zerlegen, sie auseinandernehmen wie ein Auto oder ein Ikea-Regal. Das heißt, nehmen wir an, der Leser ist eine Art Mechaniker. Und nehmen wir an, der spezielle Leser-Mechaniker hat schon an vielen Büchern gearbeitet, und nach ein paar hundert zeitgenössischen Romanen fühlt sich der Mechaniker in der Lage, so ziemlich jedes Buch auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Das heißt, der Mechaniker erkennt die Einzelteile moderner Literatur und kann beispielsweise sagen, das Teil hab ich schon mal gesehen, also weiß ich, warum es da ist und was es bewirkt. Und das Teil da auch – das erkenne ich wieder. Dieses Teil ist mit jenem Teil verbunden und hat die und die Funktion. Das da kommt normalerweise dahin und ist für das und das zuständig. Man tut der zeitgenössischen Literatur kein Unrecht, wenn man von ihr behauptet, dass sie wiedererkennbar und in ihre Einzelteile zerlegbar ist. Das gilt für ungefähr 98 Prozent der Prosa, die wir kennen und schätzen.

Wenn Sie nach einem Monat Lektüre aus den Seiten dieses Romans heraus-treten, sind Sie ein besserer Mensch

Ungebremste Obsession

Aber bei „Unendlicher Spaß“ ist das nicht möglich. Das Buch ist wie ein Raumschiff ohne erkennbare Einzelteile, es gibt keine Nieten oder Schrauben, keine Ansatzpunkte, keine Möglichkeit, es auseinanderzunehmen. Es funkelt und strahlt und zeigt keine erkennbaren Mängel. Wenn man es irgendwie in kleinere Teile zertrümmern könnte, wäre es ganz bestimmt nicht wieder zusammenzusetzen. Es ist, Punktum. Seite für Seite und Zeile für Zeile stellt es das wahrscheinlich seltsamste, unverwechselbarste und vertrackteste literarische Werk eines Amerikaners in den vergangenen zwanzig Jahren dar. Bei der Lektüre von „Unendlicher Spaß“ spürt man durchweg, dass hier eine ungebremste Obsession am Werk war, dass hier der Verstand eines jungen Autors so weit gespannt wurde, dass er, wie wir vermuten, dem Wahnsinn nahe kam.

Womit nicht etwa eine Form von Wahnsinn gemeint ist, wie sie Burroughs oder auch Fred Exley einsetzten, um kreativ zu sein. Exley trank exzessiv, wie viele Schriftsteller seiner Generation und der paar Generationen davor, während Burroughs jedes Rauschmittel zu sich nahm, das er sich irgendwie verschaffen konnte. Aber Wallace ist eine andere Art Wahnsinniger, nämlich einer, der sein Handwerkszeug allezeit beherrscht, einer, der nicht etwa unter Drogen- oder Alkoholeinfluss am Rande dieses oder jenes Abgrundes taumelt, sondern sich offenbar stets auf dem Weg nach innen befindet, in die Tiefen der Erinnerung, um unerbittlich eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort heraufzubeschwören, und zwar auf eine Weise, die an – es kommt mir so falsch vor, diesen Namen zu schreiben, und dann doch wieder so richtig! – Marcel Proust erinnert. Da ist die gleiche Art von Obsessivität, die gleiche unerhörte Genauigkeit und Konzentration sowie das gleiche Gefühl, dass der Autor das Bewusstsein eines Zeitalters erfassen wollte (was ihm wohl auch gelang).

Kommen wir vom Zeitalter zum Menschenalter. Es steht zu erwarten, dass das Durchschnittsalter der Leserschaft von „Unendlicher Spaß“ etwa um fünfundzwanzig liegt. Es sind bestimmt viele Akademiker unter ihnen, wahrscheinlich, und vielleicht gibt es eine ebenso hohe Anzahl an Fünfunddreißigjährigen oder Fünfzigjährigen, die aus welchen Gründen auch immer an einem Punkt in ihrem Leben angelangt sind, wo sie sich endlich bereit fühlen, das Buch in Angriff zu nehmen, das ihnen der eine oder andere Bekannte ans Herz gelegt hat. Entscheidend ist, dass das Durchschnittsalter einigermaßen hinkommt. Ich selbst war fünfundzwanzig, als ich es las. Ich wusste seit einem Jahr, dass es erscheinen würde, weil der Verlag Little, Brown Book Group durch monatliche Postkarten, die verführerische Formulierungen und Anspielungen enthielten und an sämtliche Medien im Lande verschickt wurden, überaus raffiniert die Erwartungen geschürt hatte. Als das Buch dann endlich herauskam, las ich es prompt.

Und so verbrachte ich einen Monat meines jungen Lebens. Ich tat kaum etwas anderes. Und ich kann nicht behaupten, dass es immer zum Schreien komisch war. Gelegentlich war es anstrengend. Das Buch fordert volle Aufmerksamkeit. Es lässt sich nicht in einem überfüllten Café lesen oder mit einem Kind auf dem Schoß. Es war ärgerlich, dass sich die Fußnoten nicht unten auf der Seite befanden, wie das bei Wallace’ Essays und journalistischen Texten der Fall gewesen war, sondern am Ende des Buches. Es passierte mir stellenweise, zum Beispiel beim Lesen einer überaus erschöpfenden Schilderung eines Tennismatches, dass ich dachte, na ja, was soll’s. Ich mag Tennis, ehrlich, aber jetzt reicht’s.

Dennoch wird die Zeit, die Sie in diesem Buch, in dieser Sprachwelt verbringen, reich belohnt. Wenn Sie nach einem Monat Lektüre aus diesen Seiten heraustreten, sind Sie ein besserer Mensch. Es ist verrückt, aber auch schwer zu leugnen. Ihr Verstand ist gestärkt, weil er einen Monat lang trainiert wurde, und was noch wichtiger ist, Ihr Herz ist praller, denn kaum je wurden Verzweiflung, Depression, Sucht, die Ziellosigkeit und Sehnsucht einer Generation oder das Besessensein von menschlichen Erwartungen, von künstlerischem und sportlichem und intellektuellem Potenzial bewegender beschrieben. Die Themen sind groß, die Emotionen (obschon zurückhaltend) sehr real und die kumulative Wirkung des Buches ist, so könnte man wohl sagen, seismisch. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Sie einen Leser finden, der nach Abschluss der Lektüre die Achseln zuckt und sagt: „Na und?“

Ein wuchtiger baseballmützetragender Anglistikstudent in einem mittelgroßen Westküstencollege stellte mir mal folgende Frage: Sind wir verpflichtet, „Unendlicher Spaß“ zu lesen? Es ist eine gute Frage, die sich viele Menschen, vor allem literarisch gesinnte Menschen, stellen. Und die Antwort darauf lautet: Vielleicht. Irgendwie schon. Eher ja, gewissermaßen. Wenn wir uns verpflichtet fühlen, dieses Buch zu lesen, dann weil uns Genie interessiert, weil uns epische schriftstellerische Ambitionen interessieren. Wir sind fasziniert davon, was eine Person mit genug Zeit und Konzentration und Koffein und, in Wallace’ Fall, Kautabak alles zustande bringt. Wenn wir uns von „Unendlicher Spaß“ angezogen fühlen, dann fühlen wir uns auch von Magnetic Fields’ „69 Songs“ angezogen, für das Stephin Merritt innerhalb von zwei Jahren 69 Songs geschrieben hat, bei denen es ausnahmslos um Liebe geht. Und wir fühlen uns von den zehntausend Gemälden des Folk-Künstlers Howard Finster angezogen. Oder von Sufjan Stevens’ Werk, der sich vorgenommen hat, für jeden Staat der USA ein Album aufzunehmen. Derzeit ist er erst bei Staat Nr. 2, aber falls er sein Ziel erreicht, wird er ungefähr an das herankommen, was Wallace mit vorliegendem Buch gelungen ist.

■ geb. 1962 in Ithaca, New York. Er war der absolute Superstar der jüngeren US-amerikanischen Autorengeneration, bewundert von Autorenkollegen wie Jonathan Franzen oder Don DeLillo. Am 12. September 2008 suchte er den Freitod. Nach der Absetzung eines Medikaments hatte sich seine Depression, die ihn schon begleitet hatte, wieder massiv eingestellt.

„Unendlicher Spaß“ erschien 1996 unter dem Originaltitel „Infinite Jest“ – der Titel spielt auf „Hamlet“ an: „Alas! poor Yorick. I knew him, Horatio; a fellow of infinite jest, of most excellent fancy.“ Die lang erwartete deutsche Übersetzung wird im August beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheinen.

Der Übersetzer Ulrich Blumenbach wird in diesem Jahr – insbesondere für seine Übertragung dieses 1.600 Seiten starken Romans – den Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis und die damit verbundene Preissumme von 15.000 Euro erhalten.

Als Jugendlicher erreichte David Foster Wallace Platz 17 der amerikanischen Tennisrangliste der Profis. Seine Abschlussarbeit in englischer Literatur arbeitete er zu seinem ersten Roman „Der Besen im System“ um. Außerdem schrieb er viele Kurzgeschichten, die auf Deutsch in den Bänden „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“, „Kurze Interviews mit fiesen Männern“, „In alter Vertrautheit“ und „Vergessenheit“ vorliegen. Alle bei Kiepenheuer & Witsch.

Als Einstieg in sein Werk eignen sich zwei Essays, „Am Beispiel des Hummers“, kürzlich im Arche Verlag erschienen, und „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, 2002 bei marebuch herausgekommen.

Entscheidend ist: Wenn uns das im Menschen angelegte Potenzial interessiert und wir uns gegenseitig zu wissenschaftlichen und sportlichen und künstlerischen und gedanklichen Quantensprüngen antreiben können, dann müssen wir die Arbeit bewundern, die unsere Mitstreiter geschaffen haben. Wir haben uns selbst gegenüber die Pflicht, uns anzusehen, was ein Gehirn vermag, vor allem ein Gehirn wie das unsere – das heißt eines, das sich in derselben geistigen Suppe bewegt. Deshalb schauen wir uns „Shoah“ an oder betrachten die endlose Papierrolle, auf die Jack Kerouac (im tagelangen Fieberwahn) „On the Road“ tippte, oder zollen William T. Vollmanns 3.300 Seiten langem „Rising Up and Rising Down“ Tribut oder Michael Apteds Dokumentationsfilmserie „7-Up“, „29-Up“, „42-Up“ oder … nun ja, die Liste ist lang.

Und jetzt sind wir leider wieder bei dem Eindruck angelangt, dass dieses Buch abschreckend ist. Und das ist es wirklich nicht. Es ist lang, aber voller Freuden. Es ist voller Humor. Und es hat überdies einen sehr leisen, aber sehr starken und beständigen tragischen Unterton, der Menschen betrifft, die zutiefst verloren sind, innerhalb ihrer Familien und innerhalb ihrer Nation und innerhalb ihrer Zeit, und die sich nur irgendein Gefühl von Orientierung oder Sinn wünschen oder ein Gefühl von Gemeinschaft oder Liebe. Was letztlich und praktischerweise für den Schluss dieser Einleitung genau das ist, was ein Autor anstrebt, wenn er sich daran macht, ein Buch zu schreiben – jedes Buch, aber vor allem ein Buch wie dieses, das so viel zu geben hat, das so viel Aufopferung und Hingabe verlangt hat. Wer würde so etwas tun, wenn nicht aus einem Bedürfnis nach Nähe und somit nach Liebe?

Ein Letztes: Bei dem Versuch, Sie davon zu überzeugen, dieses Buch zu kaufen oder in Ihrer Bücherei auszuleihen, empfiehlt sich der Hinweis, dass der Verfasser ein ganz normaler Mensch war. Dave Wallace – denn so wurde er allgemein genannt – hatte große schmuddelige Hunde, die er nie mit Taftröckchen herausgeputzt oder mit Regenmänteln eingekleidet hat. Er klagte häufig darüber, dass er bei öffentlichen Lesungen stark schwitzte, weshalb er sich ein Tuch um die Stirn wickelte, damit der Schweiß nicht auf die Seiten vor ihm tropfte. Als Tennisspieler stand er mal auf der US-Rangliste, und eine gute Staatsführung ist ihm wichtig. Er stammte aus dem Mittleren Westen – genauer gesagt aus der östlichen Mitte von Illinois, also einem ungemein normalen Teil des Landes (ganz in der Nähe übrigens, und das ist kein Witz, von einer Stadt namens Normal). Er war also normal und konventionell und alltäglich, und dieses Buch ist seine außergewöhnliche und unkonventionelle und nicht normale Leistung, etwas, das ihn überdauern wird und Sie und mich, das aber zukünftigen Menschen helfen wird, uns zu verstehen – wie wir fühlten, wie wir lebten, was wir einander gaben und warum.

© 2006, Dave Eggers

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann