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Archiv-Artikel

Jeanne d’Arc an der Ostseeküste

Ida Schillen begann in Rostock, bei eisigen Minusgraden in der Ostsee zu baden. Das härtet bekanntlich ab„Ich positioniere mich deutlich. In dem Moment, wo ich eine Aufgabe übernehme, ist das System durchbrochen“

AUS ROSTOCK BARBARA BOLLWAHN

Sie ist absolutistisch und hierarchisch. Inkompetent, schlecht informiert und überfordert. Sie schafft ein Klima des Misstrauens, ein System der Überwachung und eine Atmosphäre der Angst. Sie ist nicht konsensfähig. Statt Sacharbeit zu leisten, bastelt sie an ihrem Image als Jeanne d’Arc. Sie hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Sie beschädigt das Bild der Hansestadt Rostock.

Dieses Zeugnis stellten Ende vergangenen Jahres die vier Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, FDP und der den Grünen nahe stehenden Wählervereinigung Bündnis 90 der damaligen Oberbürgermeisterin Ida Schillen aus. Ihre Regentschaft dauerte nur 45 Tage. Dann wurde sie mit einer Mehrheit der sonst zerstrittenen Bürgerschaft abgewählt. Morgen stellt sich Ida Schillen dennoch zur Wahl. Die Kultursenatorin will wieder Oberbürgermeisterin der größten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns werden. Diesmal für sieben Jahre.

Blickfang im Büro von Ida Schillen im Rostocker Rathaus sind drei schlanke Holzstämme. Sie stammen aus einem Robinienwäldchen in Berlin, das vor zehn Jahren dem Neubau des Kanzleramtes weichen musste. Ida Schillen protestierte damals als exponierte Vertreterin des linken Flügels der Berliner Grünen gegen den Kahlschlag. Vergeblich. Widerstand und auch Niederlagen ist sie seitdem gewohnt.

Ein paar Jahre später etwa, 1999, bewarb sich die damalige bau- und lesbenpolitische Sprecherin erst als Landessprecherin, dann als Spitzenkandidatin bei den Berliner Grünen. Beide Male erfolglos. Das Rennen machten andere, darunter die gemäßigtere Renate Künast, die heutige Bundeslandwirtschaftsministerin. Vier Wochen später verließ Ida Schillen die Grünen. Aus Protest gegen den Kosovokrieg, sie wollte der „Kriegspartei“ nicht mehr angehören. Nur einen Tag später tauchte sie wie Phönix aus der Asche wieder auf, als Spitzenkandidatin einer neuen Kleinstpartei ehemaliger Mitglieder von PDS, Grünen und SPD. Da schlossen sie die Grünen aus der Fraktion aus. Renate Künast nannte Schillens Verhalten damals „verworren“: „Leute, die solche Reisen im Kopf machen, soll man nicht aufhalten.“

Aufgeräumt und guter Dinge sitzt die 48-Jährige in ihrem Büro und bietet „Wasser oder Kräutertee?“ an. Nach ihrem Ausstieg aus der Politik begann für Ida Schillen eine Zeit der „Umorientierung“. So nennt sie das heute. „Ich habe neue Perspektiven gesucht.“ Ihre Kleinstpartei schaffte es nicht ins Abgeordnetenhaus. Damit war Ida Schillen raus aus der Politik. Sie arbeitete als selbstständige Stadtplanerin und kämpfte als Bundessprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes für die „Homoehe“. Aber richtig ausgefüllt war sie damit anscheinend nicht. Als sie im Sommer 2001 erfuhr, dass in Rostock die Kultursenatorenstelle vakant ist und die PDS das Vorschlagsrecht hat, überlegte sie nur „kurz“. Berührungsängste mit der Nachfolgepartei der SED hatte sie nicht. Noch bei den Berliner Grünen hatte sie auch mit der Forderung für Streit gesorgt, eine rot-grüne Minderheitsregierung notfalls von der PDS tolerieren zu lassen.

Gerade so, als könnte ein Auftritt von Ida Schillen nicht ohne Kontroversen auskommen, ging es auch bei ihrer Vorstellung vor der bunt zusammengewürfelten Rostocker Bürgerschaft hoch her, in der CDU und PDS gleich viele Mitglieder haben. „Sehr spektakulär“, sagt Ida Schillen mit einem amüsierten Lächeln und einem leicht spöttischen Blick durch ihre randlose Brille. Sie bittet einen Mitarbeiter, das Protokoll rauszusuchen. Die Christdemokraten der Hansestadt hatten sich über ihre Vergangenheit schlau gemacht und wollten wissen, ob sie sich – als Kultursenatorin, die auch für Jugend und Sport zuständig ist – mit ihren politischen Standpunkten als Vorbild für die Jugend eigne.

Die CDU spielte darauf an, dass Schillen mit einer Bürgerinitiative gegen die Grundsteinlegung der päpstlichen Botschaft vor ihrer Haustür in Berlin protestiert hatte. Für Ida Schillen ging es um die Bebauung einer innerstädtischen Grünfläche, die sie als baupolitische Sprecherin nicht hatte verhindern können, gegen die sie aber von ihrem Wohnzimmer aus mit lauten Callas-Arien protestieren wollte. Das führte am Ende zu einem Polizeieinsatz mit Verletzten und Anzeigen auf beiden Seiten. Deshalb verlangte die CDU von ihr ein Bekenntnis zur Kirche. Schillen verwies auf auf die Meinungsfreiheit und erklärte, dass es ebenso „ein Grundrecht auf Protest“ gebe. Und sie ließ die CDU auch mit der Forderung auflaufen, ein Bekenntnis zur Bundeswehr abzulegen. Die Christdemokraten hatten bezweifelt, dass eine Frau, die die Bundesregierung als „Kriegskabinett“ bezeichnet, als Senatorin eine Stadt repräsentieren könne, in der das Marineamt der Bundeswehr ein wichtiger Arbeitgeber sei. Ida Schillen stellte klar, dass sie sich nicht um das Amt des Verteidigungsministerin bewerbe.

Nach diesem kleinen Tribunal wurde Schillen mit 33 Ja- und 15 Neinstimmen zur Kultursenatorin gewählt. Und zur ersten Stellvertreterin von Oberbürgermeister Arno Pöker (SPD). Auch dafür hatte die PDS das Vorschlagsrecht. Damit war Ida Schillen zurück in der Politik. Dreieinhalb Jahre lang kümmerte sie sich um Schulsanierungen, sicherte das Volkstheater, das manche in der Stadt aus Kostengründen gern abgewickelt hätten, die Norddeutsche Philharmonie, sorgte sich um das Konservatorium, die Musikschule, das Jugendmusikorchester. Und sie begann, bei eisigen Minusgraden in der Ostsee zu baden. Das härtet bekanntlich ab.

So gewappnet legte sich Ida Schillen, die gern ihre politische Unabhängigkeit betont, auch mit dem Oberbürgermeister an, dem Sozialdemokraten Arno Pöker, der seit neun Jahren viele Dinge in der 195.000 Einwohner zählenden Stadt im Alleingang regelte. Schillen wollte einen Theaterneubau, ein altes Thema in Rostock. Den Neubau wollte zwar auch Pölker, aber nur in der Kombination mit Einkaufszentrum und Wohnungen. Und das alte Warnow-Hotel aus DDR-Zeiten gegenüber dem neuen Theater sollte auch gleich abgerissen werden. Schillen setzte sich für den Erhalt ein. Doch bevor sich der Streit zwischen den beiden richtig zuspitzen konnte, trat Pöker Ende Oktober vergangenen Jahres zurück und kam damit seiner Abwahl zuvor. Ihm war neben seinem „gutsherrlichen Führungsstil“ das millionenschwere Defizit der Internationalen Gartenbauausstellung zum Verhängnis geworden. Schillen, seine erste Stellvertreterin, wurde automatisch seine Nachfolgerin.

Ida Schillen, nun Oberbürgermeisterin, nutzte den Posten, um in der Hansestadt, die mit 150 Millionen Euro verschuldet ist, ihre Vorstellungen von Politik durchzusetzen. Sie weigerte sich, städtisches Tafelsilber zu verkaufen, sie setzte sich für die Wiedereinsetzung eines Rechtsamtes ein, sie forderte eine Innenrevision und setzte eine externe Prüferin ein. Aber diese Amtsführung brachte einen Großteil der Bürgerschaft gegen Ida Schillen auf und spaltete auch die Stadt. Für die einen ist Ida Schillen eine kompromissunfähige Streithenne, für die anderen eine Stimme der Vernunft.

Schillen nimmt einen Schluck Kräutertee und nennt die Angriffe gegen ihre Person „sehr verletzend und hasserfüllt“. Persönlich habe sie es aber nicht genommen, meint sie. Trotzdem hat sie eine gute Woche gebraucht, um mit einem offenen Brief auf den geharnischten Abwahlantrag der vier Fraktionsvorsitzenden zu antworten. „Auf persönliche Angriffe zu reagieren ist die schwierigste Form der Auseinandersetzung“, sagt sie. Ihr Angebot, „die Hand zu reichen“, wurde nicht angenommen. „Aber“, sagt die Kultursenatorin und lacht, „CDU’ler haben sich reihenweise entschuldigt, und heute haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit“.

Ida Schillen hat eine einfache Erklärung für die Aufregung um ihre Person. „Ich positioniere mich deutlich. In dem Moment, wo ich eine Aufgabe übernehme, ist das System durchbrochen.“ Ida Schillen spricht von Filz und Klüngel bei der SPD, beklagt die Verquickung von politischen Ämtern und Aufsichtsratsposten und nicht gewollte Aufklärung: „Alle sind irgendwie involviert“. Wenn Ida Schillen, die Parteilose, bei ihrem Kampf um Transparenz auf Widerstand trifft, ist das für sie eine Herausforderung. „Sonst könnte ich das nicht durchhalten.“ Hat sie doch einmal die Nase voll, geht sie an der Ostsee spazieren. „Ein Blick über die Dünen ist ein guter Ausgleich.“

„Keine Sekunde lang“ hat die gebürtige Triererin es bereut, nach Rostock gegangen zu sein und sich mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin an der Ostsee ein Häuschen gekauft zu haben. Schillen sagt, dass sie in Rostock „viel Freundlichkeit“ erfahren habe und sich sehr wohl fühle. Sie will mit ihrer Kandidatur auch einen Beweis antreten: „Veränderungen sind möglich.“ Ihre Chancen stehen aber nicht gut. In einer Stadt mit fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit wird es vielen Wählern nicht reichen, wenn sie Arbeitslosen das Leben mit günstigen Kita- und Schwimmbadgebühren erleichtern, Arbeitsplätze lediglich sichern und eine Kulturmeile mit Schiffsanlegestellen einrichten will.

Sollte keiner der Kandidaten mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen bekommen, und darauf hofft Schillen, wird es Mitte März eine Stichwahl geben. „Ich setze alles daran, es in die Stichwahl zu schaffen“, gibt sie sich kämpferisch. Und wenn es nicht klappt? Die Antwort kommt nicht ganz so prompt. „Ich würde schon gerne längere Zeit bleiben.“ Würde sie sich weiterhin mit dem Posten der Kultursenatorin begnügen? Ida Schillen weicht der Frage aus. „Ich will Spielraum haben, Kultur entwickeln und nicht abwickeln“, sagt sie.

Das klingt, als ob sie wüsste, dass sie diesen Spielraum, unter welchem Oberbürgermeister auch immer, nicht haben wird. Dann wird es wieder einmal in ihrem Leben heißen: Zurück auf Los.