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Archiv-Artikel

Verlieb dich nie in zwei Pfund Hackfleisch

WORTKUNST Silben werden gedehnt, Plosivlaute knallen, Stimmen leiern: Am Samstagabend wurde mit „Weltklang – Nacht der Poesie“ das Poesiefestival eröffnet – als synästhetisches Gesamtkunstwerk

Faszinierend, wie Julián Herbert seine Verse zum Dreivierteltakt der Mariachi-Bläser hinausposaunt

VON ANDREAS RESCH

Wenn die norwegische Dichterin Maja Ratkje auftritt, braucht sie neben ihrer Stimme noch einen Sampler, einen Computer und eine Art Kinderspieluhr. Was sie ihren Zuhörern dann in brachialer Lautstärke entgegenschleudert, ist mal Noise-Attacke voller scharfer Konsonantenreihungen, mal zuckersüßer, mehrstimmiger Sirenengesang. Mitunter klingt Maja Ratkjes Improvisationspoesie so, als hätte man das DJ-Pult versehentlich einem Baby auf Koks überlassen.

Zu bestaunen war dieser Auftritt am Samstagabend auf dem Poesiefestival, das ja schon seit Längerem Lyrik am liebsten in modernem Gewand präsentiert: als Klangerlebnis, das oftmals erst als synästhetisches Gesamtkunstwerk in Kombination mit Musik, Tanz oder Filmbildern seine volle Wirkkraft entfaltet. Zum zehnten Mal findet es in diesem Jahr statt; zum zehnten Mal wurde es am Samstagabend mit „Weltklang – Nacht der Poesie“ eröffnet.

Nach einer Einführung durch den Festivalleiter Thomas Wohlfahrt, der auf die zahlreichen Schwerpunkte in diesem Jahr – unter anderem gibt es einen USA- sowie einen Afrikatag – hinwies, übernahm die Literaturkritikerin der Zeit, Iris Radisch, die Moderation. Gleich zu Beginn gab sie freimütig zu, von den meisten Dichtern noch nie gehört zu haben, und freute sich darauf, gemeinsam mit dem Publikum „zu erhören, was uns hier vorgetragen wird“.

Die stilistische Vielfalt, die einem dann innerhalb dieses vier Stunden dauernden Lyrikmarathons in der Akademie der Künste am Hanseatenweg geboten wurde, war diesmal groß wie lange nicht: Von Naturlyrik über Spoken Word oder Lautdichtung bis hin zu Ratkjes Klangimprovisation war so ziemlich alles vertreten, was unter den Oberbegriff „Gedicht“ subsumiert werden kann.

Den Auftakt machte Barbara Köhler, deren jüngster Lyrikband, „Niemands Frau“, 2007 bei Suhrkamp erschienen ist. Ihre Gedichte tragen Titel wie „Muse: Polytrop“ oder „Gewebeprobe: Penelope“ und offenbaren erst im Vortrag ihr ganzes Potenzial. Denn Köhlers mal abgehackte, mal die Silben schier endlos dehnende Diktion verleiht ihrer Lyrik etwas Schlingerndes, Tastendes, das sich beim Lesen höchstens erahnen lässt. Während sie „Leukothea: White Outs“ las, bewegte Barbara Köhler ihre rechte Hand wie ein Dirigent im Takt, gab sich so selbst den Rhythmus vor und ließ ihre Stimme dazu leiern wie einen alten Plattenspieler: „es ist nicht das schiff das untergeht es ist / ist nicht das schiff das untergeht es ist es / nicht das schiff das untergeht es ist es ist“. Unterlegt war der Text von Bildern wogender Wellen und einem darauf treibenden Schiff; verantwortlich dafür zeichnet die Videokünstlerin Andrea Wolfensberger.

Die russische Lyrikerin Olga Sedakova, die direkt nach Barbara Köhler auftrat, wirkte vergleichsweise recht konventionell. Schön klang es schon, was die 1949 geborene Sedakova vortrug, doch irgendwie waren die sprachlichen Bilder altbekannt. Alles einen Tick zu pompös, zu pathetisch. Ein Höhepunkt der Nacht war der Auftritt des Mexikaners Julián Herbert, der sechs Gedichte las, die, wie der hünenhafte Autor bemerkte, „sechs Kreise der Hölle“ repräsentieren. Wie bei Barbara Köhler waren viele seiner Texte mit korrespondierenden Filmbildern unterlegt – und mit Musik. Etwa „Hymne“, wo Herberts knallende Plosivlaute die sphärischen Hintergrund-Soundscapes durchbrachen, während auf der Leinwand karge Gesteinsformationen zu sehen waren. Faszinierend war es, wie er seine Verse mal herausbrüllte, mal zum tumben Dreivierteltakt der im Hintergrund dudelnden Mariachi-Bläser hinausposaunte.

Was allerdings am meisten beeindruckte, war Julián Herberts bildgewaltige Sprache, etwa in „Mac Donald’s“: „Verlieb dich nie in Hotels, in / die einfache Vergangenheit, in Brief- / köpfe, in Pornofilme, / in Augen, die wie himmlische Gräber glänzen, / in Gaunersprachen, in Boleros, in Bücher / von Denis de Rougemont. / Auf Speed, auf Alkohol, / auf Beatriz, / in einem Schmortopf: / Verlieb dich nie in zwei Pfund Hackfleisch.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

■ Programm des Poesiefestivals unter www.literaturwerkstatt.org