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Archiv-Artikel

„Wir haben den Plan B“

Bei einem Live-Interview redete Bremens Bürgermeister krauses Zeug. Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel gibt Contra

Bremen taz ■ Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist stocksauer – auf Bürgermeister Henning Scherf. Der hatte in einem Interview im Deutschlandradio suggeriert, Hickel arbeite mit falschen Zahlen. „Lieber Hennig, Du wirst verstehen, dass ich über die Aussagen zu meiner Person sehr enttäuscht, ja verärgert bin“, schrieb Hickel daraufhin. Er erwarte eine Klarstellung, das heißt: eine Entschuldigung.

„Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Zahlen her haben. Da hat Ihnen jemand Unsinn erzählt“, hatte Scherf zum Interviewer gesagt – unter Anspielung auf Hickel. Konkret ging es um die Frage, ob die hohe Zahl der Pendler das Bremer Finanzproblem erkläre, außerdem um die Kritik an Bremens Politik der hohen Investitionen. Scherf im O-Ton: „Wir wollen durch überproportionales Wirtschaftswachstum – das haben wir auch geschafft – mit eigenen Mitteln aus dieser schwierigen Schieflage herauskommen.“ Auf die skeptische Nachfrage: „Das hat aber doch einfach nicht funktioniert“ konterte Scherf: „Doch, hat funktioniert. Sie sind ja nicht voll informiert.“

Ein „eigentümliches Interview“ sei das gewesen, formuliert Hickel sehr vorsichtig – die höfliche Umschreibung für den Eindruck, dass Scherf im Live-Interview ein erschütternden Mangel an Sachkenntnis bewiesen hat. Nicht einmal die Frage nach dem Schuldenstand konnte Scherf korrekt beantworten: Frage: „Sind es eigentlich im Moment neun Milliarden oder elf Milliarden?“ Antwortet Scherf: „Wir liegen bei ungefähr acht Milliarden.“

Dann kam die merkwürdige Behauptung, Bremen wolle durch überproportionales Wirtschaftswachstum „aus dieser Schieflage herauskommen“ und das habe „funktioniert“. Wer die Prognosen für das Wirtschaftswachstums aus dem Jahre 1994 kennt, weiß: Es hat nicht funktioniert.

Auf die Frage, ob es einen „Plan B“ nach dem Platzen des Kanzlerbriefs gebe, behauptet Scherf forsch: „Wir haben natürlich diesen Plan B, aber niemandem etwas davon gesagt.“ Davon hat bis heute, fünf Wochen nach der Absage des Kanzlers, noch niemand etwas gemerkt.

Schließlich erklärt der Bürgermeister den irritierten Reportern, Bremen hätte das Geld aus dem Kanzlerbrief „doch nur über einen neuen Vertrag gekriegt, wir hätten doch das Geld nicht einfach gekriegt …“. Um einen neuen Sanierungsvertrag hat aber seit 2000 niemand verhandelt.

Bremens Regierungschef schwimmt, wo es um die wesentliche Frage geht, in der seine Politik gefordert wäre. Das zeigt nicht nur, wie sehr der Senat auf die Zusage des Kanzlers vertraut hat. Die Reporter halten Scherf seine Worte aus der Regierungserklärung 2003 vor: „Wir haben einen belastbaren Anspruch auf Hilfe. Wir haben dazu das Wort des Bundeskanzlers, darauf verlassen wir uns und darauf können wir uns verlassen.“ Scherf fällt dazu nichts ein. Vollkommen ratlos ist der Bremer Senat aber auch bei der Frage, wie denn die Verhandlungen für die „dritte Sanierungsphase“ stattfinden könnten. Bund und Länder haben über das, was Scherf als Bremens „verfassungsrechtliche Position“ bezeichnet, seit 1994 nicht ernsthaft reden wollen und auch das Bundesverfassungsgericht vertrat in zwei Urteilen eine andere Ansicht.

Wo Strategie und Perspektive unklar sind, hilft sich der Senat mit dem neuen Zauberwort vom „ausgeglichenen Primärhaushalt“. Damit werden die rasant steigenden Zinslasten vom Zettel der notwendigen Ausgaben des Konzerns Bremen wegradiert. Ein „ausgeglichener Primärhaushalt“ würde nicht aus einer Schuldenspirale herausführen, wo neue Kredite aufgenommen werden müssen, um die Zinsen zu zahlen.

Heute wollen die Koalitionäre den zweiten Teil der Streich-Liste des Finanzressorts durcharbeiten, um diesem „ausgeglichenen Primärhaushalt“ gedanklich für das Jahr 2009 näher zu kommen. Von der SPD-Seite wird erwartet, dass sie am Punkt Sozialausgaben streitet, das wurde auf der Parteikonferenz am Samstag deutlich formuliert. Die CDU, der ihr Kompromiss bei den Kürzungsquoten der Polizei schwer zu schaffen macht, wird kaum Zugeständnisse machen dürfen. Anderes Spielmaterial für Kompromisse, die mit dem Investitionsetat zusammenhängen, sollen erst in zwei Wochen aufgerufen werden.

Jetzt wird nach dem „Schock“ des wertlosen Kanzlerbriefes eine „zweite Illusion“ aufgebaut, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel: Der Senat gibt den Rest von Gestaltungsspielraum auf, um den Eindruck zu erwecken, Bremen könne durch drastischeres Sparen und der Erfindung des „Primärhaushaltes“ im Jahre 2009 der Lösung seiner Finanzprobleme nahe kommen. Etwa wenn es um die Privatisierung der Gewoba gehe.

„Kurzsichtig“ wäre das, sagt Aufsichtsratsmitglied Hickel. Die Gewoba-Anteile bringen eine ordentliche Rendite, bei einem anonymen Finanzierungsfonds wisse man nur, dass die Bremer Wohnungsbaugesellschaft ausgeblutet würde. Die Privatisierung der „Bremischen“ sei eine „brutale Erfahrung“, aus der die Politik offenbar nichts gelernt habe. Klaus Wolschner