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Archiv-Artikel

Drei, zwei, eins – bleibt meins

Mülheims Wähler verbieten den Rathauspolitikern, städtische Betriebe zu privatisieren. Der Erfolg des Bürgerentscheids vom Sonntag ermutigt Kritiker des „kommunalen Ausverkaufs“ im Ruhrgebiet

VON MARTIN TEIGELER

Den Sieg des vorbeugenden Bürgerentscheids gegen Privatisierungen in Mülheim verbuchen Bürgerinitiativen und Globalisierungskritiker als Erfolg. „Das ist ermutigend und wird die öffentliche Sensibilität hoffentlich steigern“, sagt Ralf Bindel von attac. Egal ob Cross-Border-Leasing oder Privatisierungen – die Städte müssten mit verstärktem Gegenwind gegen den „kommunalen Ausverkauf“ rechnen. „Das ist ein Signal an die Politik“, sagt auch Eugen Kalff, Sprecher der Mülheimer Bürgerbewegung. Er kann sich ähnliche Initiativen in anderen Revierstädten wie Oberhausen vorstellen. „Hier ist etwas Großartiges entstanden“, so Kalff zur taz.

Am Sonntag hatten 82,4 Prozent der Mülheimer für ein kommunales Privatisierungsverbot gestimmt. 27.435 Wahlberechtigte votierten unter dem Motto „Stopp dem Ausverkauf: Mülheim gehört uns!“ gegen die Beteiligung privater Investoren. Für den Entscheid seien 248 Stimmen mehr eingegangen als erforderlich, teilte die Stadtverwaltung gestern mit. Mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten mussten zustimmen. Mülheim an der Ruhr ist nun zwei Jahre an den Bürgerentscheid gebunden.

„Erfolgreiche Bürgerentscheide finden nicht selten Nachahmer“, sagt Thorsten Sterk vom Verein „Mehr Demokratie“. Das erfolgreiche Begehren, bei „der Gründung neuer und bei der Änderung bestehender Gesellschaften im Bereich der Daseinsvorsorge keine Gesellschaftsteile an Private zu übertragen“, sei auch in anderen Städten und Gemeinden aktuell. Der Bürgerentscheid in Mülheim war der erste im Land Nordrhein-Westfalen, bei dem die Bürger vorbeugend über Privatisierungen abstimmen konnten, bevor diese überhaupt konkret geplant waren. Die Initiative „Mehr Demokratie“ hatte im Vorfeld des Bürgerentscheids das Abstimmungsverfahren in Mülheim als „vorbildlich“ gelobt.

„Atemlose PrivatisiererInnen haben damit die Gelegenheit einer Denkpause erhalten“, sagt Raimund Echterhoff, ver.di-Landesfachgruppenleiter Gemeinden. Die Dienstleistungsgewerkschaft hatte den Bürgerentscheid unterstützt. Seit 15 Jahren versuchten Kommunen nicht nur in NRW ihre Finanzen mit (Teil-)Privatisierungen zu sanieren. „Seit 15 Jahren scheitert diese Strategie“, so Gewerkschafter Echterhoff. Während der Schuldenstand der Kommunen wachse, lägen kommunale Investitionen, mit denen die lokale Wirtschaft auf Trab gebracht werden könnte, „auf einem historischen Tiefstand“, sagt er. Echterhoff appelliert an die verantwortlichen Politiker in Stadt und Land, die Chance des Bürgerentscheids zu nutzen und über die gescheiterte Privatisierungsstrategie nachzudenken.

Die Mülheimer Stadtspitze reagierte gestern zurückhaltend auf das Votum. Im Rathaus werde derzeit geprüft, welche städtischen Projekte „von der Bindungswirkung dieses Bürgerentscheids erfasst“ werden und welche „alternativen Handlungsoptionen“ genutzt werden können, teilte die Kommune mit. SPD, CDU und FDP hatten Wahlkampf gegen das Verbot gemacht. Grüne und Bürgergruppen hatten den Entscheid dagegen unterstützt. Sie fürchteten einen Verkauf der städtischen Altenheime.

Die Abstimmungsniederlage für die Privatisierungs-Fans reiht sich ein in eine lange Reihe von Pleiten. 2001 hatten die Düsseldorfer gegen den geplanten Verkauf ihrer Stadtwerke votiert. 2003 sammelten Bürgerinitiativen in Recklinghausen und Bochum tausende Unterschriften gegen US-Leasing-Geschäfte mit städtischen Kanalnetzen. „Offensichtlich wollen BürgerInnen die Gestaltung der Daseinsvorsorge nicht privaten Unternehmen überlassen“, sagt ver.di-Experte Echterhoff. Das gebe „Hoffnung für den lokalen Sozialstaat“.