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Archiv-Artikel

Die Statistiklüge: Wer kann arbeiten? Wer will arbeiten?

„Die Zeit der Dunkelziffern ist vorbei“ – mehr Klarheit schaffen die neuen Zahlen aber nicht.

Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des deutschen Landkreistages, erzählt die Geschichte des empörten Anrufers, der sich unlängst ereiferte über die Streitereien über die Erwerbsfähigkeit von Arbeitslosengeld-II-Empfängern. Sein Vater, so der Anrufer, hätte im Krieg beide Beine verloren und trotzdem voll gearbeitet, als Bürgermeister. Unsäglich und diskriminierend sei die öffentliche Diskussion darüber, ob Beinamputierte, HIV-Infizierte oder Alkoholkranke als erwerbsfähig gelten dürften oder nicht.

Die neue Arbeitslosen-Statistik, so erweist sich jetzt, bringt nicht mehr Klarheit über die Zahl der Erwerbslosen, obwohl Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) genau das behauptet hatte mit den Worten: „Die Zeit der Dunkelziffern ist vorbei.“ Mehr als fünf Millionen Arbeitslose gibt es derzeit in Deutschland – aber die Zahl ist in zweierlei Hinsicht unehrlich: Erstens bildet die Statistik nicht ab, für wen die Arbeitslosigkeit schon eine Art Vorrente ist und wer in Wirklichkeit überhaupt keinen Job mehr sucht. Dazu gehören viele der jetzt als „erwerbsfähig“ gemeldeten Sozialhilfeempfänger, die in Wirklichkeit meilenweit entfernt sind von jeder Chance auf dem Jobmarkt, sehr häufig aus gesundheitlichen Gründen. Auch etwa ein Fünftel der früher schon als arbeitslos Registrierten sucht in Wirklichkeit gar keinen Job mehr, hatten Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) errechnet. Insoweit kann man die Statistik als überzeichnet betrachten.

Andererseits aber, und das ist die andere Unehrlichkeit, werden in der Arbeitslosenstatistik tausende von Nichtleistungsempfängern nicht mehr gezählt, die zwar kein Arbeitslosengeld beziehen, aber dennoch liebend gerne einen Job hätten. Auch setzt die Bundesagentur für Arbeit (BA) darauf, dass sich zehntausende von Arbeitslosen künftig abmelden, die keine Leistung mehr beziehen, weil der Partner zu viel verdient. Diese Leute haben deswegen aber noch lange keinen Job. Hinzu kommen zehntausende von Langzeitarbeitslosen im Alter von über 58 Jahren, die erklärt haben, dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

Das Registrierverfahren der deutschen Arbeitslosenstatistik sagt also nur begrenzt etwas aus über die Jobsuche, im Unterschied zur Statistik der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Als arbeitslos gilt in dieser Statistik nur, wer angibt, sich aktiv um einen Job zu bemühen. BARBARA DRIBBUSCH