piwik no script img

Unerwünschte Höhenflüge

Arbeitslosigkeit in Berlin und Brandenburg auf Rekordstand. Wirtschaftssenator Wolf (PDS): Anstieg saisonal bedingt. Grüne fordern bessere Betreuung der Arbeitslosen

Die Arbeitslosigkeit in Berlin und Brandenburg hat im Februar 2005 einen Rekordstand erreicht. Die Zahl der Erwerbslosen stieg im Vergleich zum Januar um 2.184 auf 606.622, wie die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit gestern mitteilte. Binnen Jahresfrist ist das ein Zuwachs um 33.719. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich im Vergleich zum Januar um 0,1 Prozentpunkte auf 20,0 Prozent. Das waren 1,1 Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Zurückgeführt wird der weitere Anstieg neben saisonalen Gründen auf die Anfang 2006 in Kraft getretene „Hartz IV“-Reform, durch die erstmals auch arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger statistisch erfasst werden.

In Berlin suchten Ende Februar offiziell 331.095 Menschen einen Arbeitsplatz, 3.226 mehr als einen Monat zuvor. Im Vergleich zum Februar 2004 wurden 24.691 mehr Arbeitslose registriert. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,2 Prozentpunkte auf 19,6 Prozent.

In ihren Reaktionen waren Politiker in Berlin unterdessen bemüht, die Verantwortung für die wachsende Zahl Erwerbsloser bei jeweils anderen zu suchen. Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) führte den Anstieg auf saisonale Ursachen – sprich den Winter – zurück und unterstrich, die Bundesregierung müsse den Mut finden, vor allem niedrige Einkommen von Lohnnebenkosten zu entlasten. Außerdem müssten der Bund und namentlich Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) die Jobcenter vor Ort in die Lage versetzen, die Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt oder zumindest in Beschäftigungsmaßnahmen zu vermitteln.

CDU-Fraktionsvize Kai Wegner sieht unterdessen ein Versagen des Senats. Notwendig sei in der Hauptstadt für die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor allem ein drastischer Bürokratieabbau. Wenn endlich begonnen werde, – so wie im Saarland – unnütze Verordnungen und Regeln abzuschaffen, könne der Mittelstand auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Der Wirtschaftssenator müsse endlich handeln, forderte der Oppositionspolitiker. Außerdem hegt Wegner den Verdacht, dass der Senat gar nicht versucht, die „Hartz-IV“-Instrumentarien effektiv einzusetzen.

Ähnlich äußerte sich auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sibyll Klotz. Qualifizierte Betreuung statt Verwaltung der eigenen Probleme seien von den Arbeitsgemeinschaften und Jobcentern gefordert. So arbeiteten in den unterbesetzten Centern die Mitarbeiter unter extremen Bedingungen. Um dennoch die „Aktivierungsquote“ zu schaffen, werde bereits der Gang von Jugendlichen vom Jobcenter zum Jugendamt als „Aktivierung“ verbucht. Nach Klotz’ Ansicht ist es angesichts der Arbeitslosenquote geradezu „absurd“, dass weder Senat noch Bundesagentur in der Lage seien, die noch rund 700 offenen Stellen in den Jobcentern zu besetzen.

Nach Ansicht des berlin-brandenburgischen DGB-Chefs Dieter Scholz trägt die Hauptstadt beim Wirtschaftswachstum immer noch die „rote Laterne“. Das räche sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Sozialversicherungspflichtige Stellen gingen zugunsten von „prekären Arbeitsverhältnissen aller Art“ zurück. So genannte 1-Euro-Jobs verdrängten reguläre Arbeitsplätze. Nach Ansicht von Scholz bedarf dies einer effektiveren Überprüfung durch Kammern und Innungen sowie durch Betriebsräte. Arbeitslose müssen nach Auffassung von Scholz vorrangig qualifiziert werden, die 1-Euro-Jobs seien nur die Ultima Ratio. ddp

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen