: Peinliches Gedenken in Berlin
Historiker: Die NS-Gedenkstätten sind provinziell und unprofessionell gestaltet. Kulturministerin Weiss läuft mit ihrem Stiftungskonzept auf: Mehr Geld soll her
BERLIN taz ■ Eine schöne Idee hatte Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos). Sie will die vier zentralen NS-Gedenkstätten in Berlin in einer Bundesstiftung zusammenführen. Gestern musste die Staatsministerin allerdings zusehen, wie prominente Historiker ihre Idee bei einem Kolloquium auseinander nahmen.
Es dürfe nicht gelten: „Es muss alles neu gemacht werden, aber es darf sich nichts ändern“, sagte der Freiburger Geschichtsprofessor Ulrich Herbert. Damit watschte er Weiss für ihr Bemühen ab, die bisherige Struktur der Gedenkstätten überwiegend beizubehalten. Die Gedenkstätten seien zwar „gut gemeint, aber oftmals amateurhaft“, sagte Herbert. Zum Teil wirkten sie „provinziell“. Auch der Berliner Historiker Götz Aly hatte den Zustand der Berliner Gedenkstätten in einem Zeitungsbericht als „peinlich“ kritisiert. Zudem seien die Darstellungen „fehlerhaft und falsch proportioniert“.
Vor einem Monat stellte Staatsministerin Weiss ihren Plan erstmals vor. Gestern warb sie erneut für die „Synergieeffekte“ einer Fusion. Nach ihren Vorstellungen sollen neben dem Holocaust-Mahnmal und dem NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors auch das Haus der Wannsee-Konferenz und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in die öffentlich-rechtliche Organisationsform übergehen. Als Namen schlägt Weiss vor: „Stiftung Dokumentation der NS-Verbrechen“.
Einig sind sich die Historiker darüber, dass eine Bundesstiftung grundsätzlich sinnvoll ist. Der ehemalige Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Reinhard Rürup, sagte, die Einrichtungen seien je einzeln „unspektakulär“. Gemeinsam bräuchten sie jedoch keinen Vergleich zu scheuen.
Rürup ist zusammen mit Weiss der Meinung, dass dabei die einzelnen Einrichtungen ihre Autonomie behalten sollten. Historiker Herbert befürchtet jedoch, dass deren Defizite dann bestehen bleiben würden. Den Gedenkstätten würde eine „zentrale Perspektive“ fehlen. Herbert fordert daher eine Professionalisierung und schlägt eine „neue Struktur“ vor. Nach seinen Vorstellungen sei „in der Mitte der Hauptstadt eine Gesamtaussage“ zu treffen. Topographie des Terrors und Holocaust-Mahnmal sollten zusammengefasst werden, so Herbert. Sie würden ohnehin zentraler Anlaufpunkt werden.
Neben den strukturellen Fragen könnte sich auch die Finanzierung als problematisch erweisen. Rürup glaubt nicht, dass die „viel beschworenen Synergieeffekte“ die erhofften Einsparungen bringen werden. Staatsministerin Weiss möchte jedoch auch bei der Übernahme der Stiftung nicht mehr Geld aus der Bundeskasse locker machen. Sie verweist darauf, dass die Gedenkstätten bereits zu 65 Prozent vom Bund finanziert würden.
An der Historiker-Diskussion beteiligte sich auch Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Wolkig plädierte er für eine „Historisierung“ der Gedenkstätten und schien ansonsten kein Interesse an tatsächlichen Neuerungen zu haben: Man solle sich im „Rahmen der bestehenden Konzeption“ bewegen.
SASCHA TEGTMEIER