Kindliche Kamele

Jean Dubuffets orientalische Blätter in der Kunsthalle

Bei der spätwinterlichen Kälte draußen tut ein Besuch in der Sahara gut: Vor sandfarbenen Wänden und mit orientalischer Musik lädt eine kleine Ausstellung in der Galerie der Gegenwart ein, sich mit den Algerien-Reisen Jean Dubuffets zu befassen. Die drei Hauptmotive der Schau „Er hat die Sandalen ausgezogen“, flötenspielende Musiker, Kamele und Palmen, bedienen die Traumvorstellung vom Orient. Doch Dubuffet kritzelt seine Zeichnungen wie kindliche Buntstiftskizzen, kratzt die Motive aus einer vorher angelegten Bildoberfläche. Mit Kalkül wird also naiver Ausdruck gesucht.

Doch so leicht diese Blätter wirken – ihr Anspruch ist komplexer: Jean Dubuffet hatte für seine Suche nach dem Ursprünglichen in der Kunst sogar Arabisch gelernt und lebte zwischen 1947 und 1949 auf mehreren Reisen einige Monate in der nordafrikanischen Wüste. Merkwürdig wirkt heute, wie selbstverständlich sich der bourgeoise Weinhändlersohn in dem damaligen französischen „Übersee-Department“ wenige Jahre vor dem algerischen Unabhängigkeitskrieg als Einheimischer gab. Doch vielleicht ist gerade die Chiffrenhaftigkeit seiner Bilder ein Verweis darauf, dass Der orientalische Musiker oder Das treue Kamel immer nur Ausdruck einer Vorstellung sind, die mit der nordafrikanischen Realität wenig zu tun hat. Auch in der Nachkriegszeit war die künstlerische Suche Dubuffets nach den Ursprüngen von der wirklichen Welt kaum beeinflusst. Die Ablehnung traditioneller Ordnungen gerade in der islamischen Welt finden zu wollen ist ohnehin verwunderlich. Sie bleibt ein individueller Gestus, der am besten im Atelier aufgehoben ist.

Erstmalig überhaupt hat die Kunsthistorikern Nina Zimmer hier Dubuffets orientalische Phase thematisiert. Doch die Schau ist auch hinsichtlich des Umgangs mit dem Fremden interessant. Denn in dem oft vergeblichen Bestreben, verstehen zu wollen ist sie viel aktueller, als es die Jahreszahlen vermuten lassen. Hajo Schiff

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 10.4.