: Mit faszinierendem Ernst
„The Rat Pack“: Ein unterhaltsames Täuschungsmanöver, das auch den guten schäbigen Herrenwitz mit Trinkerpointe nicht scheut
Was vorbei ist, ist vorbei. Von diesem Diktum der Zeit erlöst uns das Showgeschäft. Abba-Revival-Quartette konzertieren, Buddy Holly gibt es als Musical. Ob Elvis, Edith Piaf, Queen, Ray Charles oder Pink Floyd, sie kehren zurück als Kinoikone, CD-Remix oder theatergerechte Doppelgänger. Da aktuelle Megastars eine immer kürzere Halbwertszeiten haben, scheint die gute Kopie von einst erfolgversprechender als ein schlechtes Original von heute.
Jetzt wird das begnadete Show-Alkoholikertrio Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis jr. reanimiert. Und die Theaterbesucher scheinen die Rückkehr der Rat Pack genannten Boygroup ersehnt zu haben. Seit Jahren befinden sich diverse Wiedergänger auf ausverkaufter Europatournee, präsentieren sich aber auch weiterhin dort, wo einst Premiere gefeiert wurde: im Londoner Strand Theatre.
Derzeit gastiert die Produktion im Bremer Musical-Theater – als schwer unterhaltsames Täuschungsmanöver. Man wird, 9.000 Kilometer entfernt, willkommen geheißen im „Sands, Las Vegas“. In dem Casino drehten Sinatra, Martin und Davis 1960 den Film „Frankie und seine Spießgesellen“ - und veralberten ihre Feierabende vor zahlendem Publikum. Was jetzt als originales Live-Erlebnis angekündigt wird, ist Zusammenfassung der Rat Pack-Historie: komprimierte Nostalgie.
Die Show hat sich so nie ereignet, ist vielmehr eine Sammlung bekannter Gags und Dialoge sowie zwei Dutzend wunderbarer Songs, die ewige Klassiker wurden, aber teilweise erst nach dem letzen Auftritt im „Sands“ entstanden.
Was George Michael, Bryan Ferry, Joni Mitchell, Robbie Williams versucht haben, indem sie amerikanische Standards oder Pop-Songs im Big-Band-Sound aufnahmen, gelingt dem Rat Pack-Recycling mit frecher Nonchalance: Revival des Swing, Piano-Blues und Orchester-Pathos. Großer Pop. Das Comeback der Crooner, die singen, juxen, tanzen. Ein Trio selbstverliebter Zyniker, die unter der Oberfläche des glitzernden Vergnügens mit faszinierendem Ernst vorführten, dass ihnen nichts wichtig ist.
Eine Distanz, die auch bei den Gassenhauern immer mitgesungen wird. Die Kunst des erhabenen Desinteresses - immer auf der Kippe zur Verachtung. Irgendwann schiebt Dean Martin eine Minibar auf die Bühne und fragt: „Warum mixen wir uns nicht ein kleines Sandwich?“ Eine profunde Lektion in Stil und Gleichgültigkeit, Glamour und tiefsinniger Leere. Verdammnis und Melancholie und Las Vegas: ein amerikanischer Cocktail, der es in sich hat – und in der immer gleichen Klischeeinszenierung serviert wird: mit Whiskyglas, filterloser Zigarette, im Rücken ein Schubidubi-Trio von üppiger Weiblichkeit und eine gewaltig aufbrausende Big Band.
Lang, lang ist das her. In unserem Jahrtausend ist Rauchen fast überall verboten, Alkohol verpönt, das „Sands“ längst in die Luft gesprengt, die Trinkerkumpels allesamt verstorben, Schubidubi-Girls sind magersüchtig und der Sound kommt aus dem Computer. Um so charmanter, die Zeit der Legenden historisierend erneut ins Bewusstsein zu rücken. Den guten schäbigen Herrenwitz mit Trinkerpointe wieder zu pflegen, die Hymnen des Machismo, der Männerfreundschaft. In Smokings feiern drei erwachsene Jungs Regression, eine Rückkehr in die seligen Gefilde infantiler Unbekümmertheit. Ach, der Godfather of Show: Henry Prego macht uns den Frank Sinatra, der aufgrund einer nicht sonderlich ausgeprägten, leicht brüchigen Stimme für Barhockersprechgesang zuständig ist.
Wenn Frankieboy mit leicht metallisch und unbewegt klingender Intonation die jazzig- dynamischen Phrasierungen setzte, hatte das immer etwas Sinistres, verströmte Patenpathos und spiegelte das Zwiespältige auf hypnotische Weise. Prego aber ist der gesangstechnisch bessere Sinatra, singt klarer, schöner, ohne Untertöne, liegt nie neben dem Ton.
Ein sehr guter Coverband-Sänger, keine Versuchung. Für den rosaroten Lollipop-Schmalz ist Michael Nielson zuständig; er gibt Dean Martin unter reichlich Schnoddermangel als großen Schlaks auf Whiskey-Diät: „Ich habe dabei zuletzt vier Tage verloren.“ Tanz und Jazz zelebriert Alonzo Saunders. In seiner Hyperaktivität bekommt er die Sammy Davis Jr.-Haltungsnote: 1. Ebenfalls eine glatte 1 für die Bläser der 15-Mann-Band. So lässig präzise und mit wuchtiger Schärfe schmettern sie durch die Songs, dass es eine einzige Freude ist. Ein wenig schal wirkt der Abend nur, weil er nie als perfekte Illusionsmaschine funktioniert – wie etwa Taylor Hackfords Film „Ray“.
Die Rat Pack-Show ist immer Theater, wird nie Konzert. Die Differenz zwischen Vorbild und Darstellung bleibt künstlerisch ungenutzt, vermittelt sich daher als Mangel an Kreativität. Zu erleben sind Kopisten statt Interpreten. Was für Publikumsovationen reicht. Männer, die in ihren Anzügen immer so schweiß-, blut-, spermafrei ausschauen, lächeln beseelt, beschwitzen ihre geröteten Wangen: Swing! Und lassen die Hände tanzen: That’s entertainment! Vorbei ist nie vorbei. Jens Fischer
Bis 6. März im Musicaltheater am Richtweg