: Manchmal auf Koks gespielt
Der 93-jährige Fritz Schorn gehört zu den Urgesteinen der Kicker von Bayer Leverkusen. In Schorns aktiver Zeit kickte der Verein allerdings in den Niederungen des rheinischen Fußballs
AUS LEVERKUSENLUTZ DEBUS
Wer kennt noch Fritz Schorn? Bayer Leverkusens Stürmer in halblinker Position schoss, wie er selbst heute stolz von sich sagt, mit links wie rechts immer alles rein. Manchmal tun ihm jetzt noch vom Gebolze die Füße weh, grinst er. Dabei sitzt er mit seinen gut 93 Jahren im Rollstuhl. Seit über 80 Jahren ist er im Verein.
Groß geworden ist er auf dem legendären Dünnplatz. Wenn der Rhein Hochwasser hatte, ruhte der Spielbetrieb. In welcher Liga spielte damals in den Dreißiger Jahren Leverkusen? Die Antwort ist nicht einfach. Nach Belieben wurden die Chemiewerker zwischen der Bergischen Bezirksklasse und der Kreisklasse Köln hin- und hergeschoben. Schorn bekam als Lehrling 4 Mark Wochenlohn. Mit Fußball verdiente er nichts. Bei 6 Millionen Arbeitslosen war er froh, überhaupt bei Bayer zu sein. 1934 war für Monate Schluss mit Fußball. Euler, der Knochenbrecher von Sülz 07, bei jedem Spiel musste der ein oder zwei Stürmer kaputt treten, stand mit beiden Füßen auf dem Oberarm von Fritz Schorn. Die ganze Seite war blau. Harte Zeiten, bemerkt Schorn.
Der SA-Führer Hermann Alfons wunderte sich über den Fritz. Wie könne der nur mit Juden in einer Mannschaft spielen? Fritz konterte: „Bleib Du bei der Politik, ich bleib beim Fußball.“ Doch diese Trennung funktionierte nicht. Die Brüder Richard und Karl Frank wechselten in der Saison 35/36 nach Utrecht. Mehr weiß Schorn vom Schicksal der beiden jüdischen Mitspieler nicht. 1938 oder 39 kam dann der Triumph für Fritz Schorn. Beim Aufstiegsspiel gegen Solingen 95 schoß Schorn Leverkusen mit zwei Toren in die Gauliga, die damals zweithöchste Liga. Beim ersten Treffer kickte er den Ball steil ins Tor. Direkt am Pfosten kullerte er über die Linie. Der Höhepunkt in Fritz Schorns Karriere.
Dann wurde nicht mehr Fußball gespielt. Es war Krieg. Schorn machte die Meisterprüfung. Als Maschinenschlosser arbeitete er in einer Fabrik, die Sprengstoff herstellte. So blieb er bis 1944 vom Kriegsdienst verschont. „Zum Schluss wollten sie aus mir dann noch einen strammen Soldaten machen. Haben sie aber nicht geschafft.“
Als nach dem Krieg wieder Fußball gespielt wurde, war er zu alt dafür. Jetzt lebt er in einem Altenheim in Leverkusen-Rheindorf. Gern schaut er sich die Spiele im Fernsehen an, besonders wenn Bayer gewinnt. Aber es werde zu viel gequatscht dabei. Spitzbübisch orakelt er: „Sieht aus, als ob die dieses Jahr Meister werden wollen.“ Im letzten Herbst, beim Vereinsjubiläum, habe Rudi Völler mit ihm gesprochen. Ein netter Kerl sei das. Ob sich der Fußball in den achtzig Jahren verändert habe? Früher sei es viel starrer gewesen. Wenn ein Halbstürmer und ein Außenläufer ihre Positionen getauscht haben, sei das schon viel gewesen. Da blieb jeder an seinem Platz. Und inzwischen sei das „Oben-rein-treten“ verboten. Früher kam schon mal ein gesplittertes Schienenbein aus einer klaffenden Wunde. Heut pfeife man das vorher ab. Und ein Rasenplatz sei früher auch nicht Standard gewesen. „Manchmal haben wir auf Koks gespielt.“ Damit meint Schorn natürlich schwarze ausgewalzte Asche.
Zu Besuch kommt oft Werner Röhrig. Auch er war Bayer-Fußballer, allerdings von 1951 bis 1963. Zusammen rekonstruieren die beiden in der Cafeteria des Altenheimes die Vereinsgeschichte. Und manchmal schaut Fritz Schorns Nichte vorbei. Ihr Onkel soll mindestens 105 Jahre alt werden. Brav antwortet er: „Na ja, ich werde versuchen, das Luftholen nicht zu vergessen.“