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Archiv-Artikel

Der Traum heißt: irgendwie durchkommen

Offiziell hat Berlin den Absturz der Startups mehr als gut überstanden und präsentiert sich als innovative Medienstadt. Doch die New Economy kocht längst auf Sparflamme. Optimisten sehen aber den Beginn der „Next Economy“

Als wäre nichts geschehen. Glaubt man der Hauptstadt-Marketing-Gesellschaft „Partner für Berlin“, so wächst die IT- und Medienwirtschaft seit 1997 kontinuierlich. „Diese Branche spielt in Berlin und Brandenburg eine maßgebliche Rolle für die Kommunikation dieser Region“, sagt Geschäftsführer Friedrich-Leopold von Stechow. Allein die Zahl der Software-Dienstleistungsbetriebe sei von 1997 bis 2002 um 93 Prozent, die Zahl der Beschäftigten um 120 Prozent gestiegen. Mit 88.595 Erwerbstätigen liegt Berlin in der Medien, IT- und Kommunikationswirtschaft auf Platz zwei der beschäftigungsreichsten Kreise in Deutschland.

Der Nemax-Absturz? Höchsten ein kleiner Kratzer im glänzenden Metropolenlack. Berlin stellt sich gerne als kreative, innovative Medienhochburg dar. Musik, Film, IT: Wachstum allerorten. Doch was haben die noch mit der klassischen New Economy gemein?

Herzlich wenig, weiß Katja Karger, Projektmanagerin bei Connex.av, dem Ver.di-Ableger für Medienschaffende. „Die New Economy gibt es nicht mehr“, sagt Karger. „Heute wird dieser Begriff oft mit anderen Bereichen aus den Medien, der Telekommunikation oder dem IT-Sektor in einen Topf geworfen.“ Karger selbst zählt nur Online-Agenturen, Online-Redaktionen, Contentprovider oder erfolgreiche Nischenbesetzer wie Klingeltonabieter Jamba dazu.

Karger war lange beim damaligen New-Economy-Darling Pixelpark und genoss die Vorzüge des Luftschlossbauens. 2001 ging es rapide bergab. Karger entwarf Sozialplan nach Sozialplan, bis sie merkte: Der Nächste betrifft mich. Von einst über 1.000 Mitarbeitern blieben 150.

„Ein Teil wurde zu Arbeitsnomaden und hangelt sich seitdem von Vertrag zu Vertrag“, sagt Karger. „Der wesentlich größere Teil aber ging in die Selbstständigkeit und spezialisierte sich.“ Aber selbst das helfe kaum weiter. „Onlinedesigner etwa gibt es in Berlin wie Sand am Meer – aber vielleicht zehn finden ihre Nische. Die Konkurrenz ist riesig, die Tagessätze sind übel.“ Deswegen kommt es laut Karger in der einstigen Traumbranche nur noch auf eines an: „irgendwie durchzukommen“.

Jens Hoffmann ist anderer Meinung. Er betreibt seit 2002 die Website berlinstartup.de, die er als Innovationsplattform bezeichnet. „Unter den vielen Ich-AGs findet sich viel Spannendes. Außerdem ist es in Berlin einfacher, zu überleben.“ Hoffmann spricht von der „Next Economy“: von Zusammenschlüssen mit großen Firmen, vom großen Potenzial Googles, Ebays, Amazons. „Die Branche hat sich definitiv erholt.“ Die einstige New Economy verschmelze mit der wachsenden Film- oder Musikbranche. Ein neues Kapitel beginnt.

Katja Karger hingegen sagt: „Bei der klassischen New Economy gilt für Berlin: Unter ferner liefen …“ Die New Media sei heute eine Branche wie jede andere auch, mit denselben Problemen. Bei Connex.av merkt Karger, dass sich die Kreativen längst nach Absicherung sehnen. „Es waren ja schon tolle Zeiten damals, aber an vielen Stellen waren die Einschnitte durchaus gesund.“

Christoph Ringwald, Sprecher von Pixelpark, sagt: „Wir haben aus dem Tief gelernt.“ Pixelpark konzentrierte sich nach dem Fall auf den deutschen Kernmarkt und sanierte sich damit. „Berlin ist als Standort wegen der Nähe zu Politik und Wirtschaft für viele Firmen noch immer wichtig“, sagt Ringwald. „Hätten aber alle ihre Lehren gezogen, wäre die Stadt bei den kleinen Anbietern nicht so überfüllt.“ Jens Hoffmann jedenfalls hat es erst mal wieder geschafft. Vor kurzem erwarb er ein Loft in Kreuzberg.

PATRICK BAUER