URBANE LANDPARTIE : Holzhacken
Beim Aufstieg aus der Unterwelt der BVG weht uns frischer Birkenduft vom Alexanderplatz entgegen. Birkenduft! Ein Biss in eine Proust’sche Madeleine oder in eine Kapsel LSD hätte die gleiche Wirkung. Unbekannte wechseln verklärte Blicke.
Kreischende Kettensägen reißen uns aus der Gruppenekstase. Mitten auf dem Platz stehen breitbeinig 30 Frauen jenseits der 50, in Cargohosen und Gummistiefeln, Äxte und Sägen geschultert, als wären sie einem Tanztheaterstück von Pina Bausch entstiegen: Pastorinnen und Steuerberaterinnen, Axtwerferinnen aus Sundsvall und Ahnungslose aus Berlin. Ellionor schwitzt, ihr weißes Shirt klebt am stämmigen Körper, graue Strähnen hängen ihr in die Stirn – doch sie strahlt, während sie mit einem Holzklotz kämpft. 30 Kubikmeter Birkenstämme sollen die Frauen an drei Tagen verhackstücken, unter den Augen der Passanten, die die Installation der dänischen Choreografin Dorte Olesen umrunden.
Am Gitter lehnen zwei Männer und wetteifern um Ellionors Aufmerksamkeit. „Umdrehen!“, mahnt der eine. Sie dreht sich um, nachsichtig lächelnd. „Nicht du, der Klotz!“, motzt der andere. Ellionor kneift die Augen zusammen. „Vadå? Das kann ich nicht!“, ruft ihr Mund, „Holzkopf!“, keift ihr Blick. Die Männer zucken zusammen, wollen gehen, da wirft sie den Kopf zurück und lacht schallend, in ihren Augen der Schalk einer ergrauten Pippilotta. „Das ist Kunst, keine Baustelle“, flötet eine Flaneurin. Wer glotzt, wird beglotzt.
Ellionor hebt die Axt, die Frauen jubeln: „Det är bra, jajaja!“ Das Holz splittert, die Mundwinkel der Männer zucken. Ein Baby gluckst bei jedem Treffer, ein Bernhardiner berauscht sich an der harzigen Brise. Hinter Holzmieten und Sägespanhügeln sprudelt der Brunnen der Völkerverständigung wie ein Wasserfall und spült jede Erinnerung an die Szene davon – bis zum nächsten Birkenrausch. CHRISTINA FELSCHEN