: Werte sollen zur Pflicht werden
Die Mehrheit der SPD will einen gemeinsamen Werteunterricht für alle SchülerInnen einführen. Klare Niederlage für Bildungssenator Böger. Unterstützung von PDS und Grünen, Kritik von den Kirchen
VON SABINE AM ORDE
Bildungssenator Klaus Böger steuert auf eine klare Niederlage beim Landesparteitag der SPD zu. Am Wochenende haben sich weitere Kreisverbände der Partei dafür ausgesprochen, einen verbindlichen Werteunterricht für alle SchülerInnen einzuführen – und zwar ohne die Möglichkeit, das neue Fach zugunsten von Religionsunterricht abzuwählen. Damit scheint sicher zu sein, dass sich der SPD-Parteitag am 9. April für dieses Modell aussprechen und damit ihrem Bildungssenator eine deutliche Absage erteilen wird.
Denn Böger will zwar Werteunterricht einführen. Nach Brandenburger Modell sollen sich aber die SchülerInnen, die am Religionsunterricht teilnehmen, vom Werteunterricht befreien lassen können. Das lehnt die Mehrheit seiner Partei ab. Sie will, dass sich alle Kinder gemeinsam über Werte, Religionen und Lebensanschauungen verständigen.
Am Wochenende hatten sich die SPD-Kreisverbände Reinickendorf, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow zum Teil mit großer Mehrheit gegen Bögers Modell ausgesprochen. Sie favorisieren das, was im Leitantrag des SPD-Landesvorstands als Variante I zum Werteunterricht aufgeführt wird. Bögers Vorschlag ist in Variante II zu finden. Es ist die einzige Frage, in der der Leitantrag zur Bildungspolitik zwei Möglichkeiten aufführt und die Entscheidung damit offen lässt. „Über diese Frage gibt es eine sehr kontroverse Debatte in der SPD“, so hat dies Parteisprecher Hannes Hönemann im Vorfeld erklärt. In den vergangenen zwei Wochen hatten sich bereits die drei größten SPD-Kreisverbände Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg gegen Böger positioniert.
Sollte sich die SPD wirklich für Variante I entscheiden, gibt es im Abgeordnetenhaus eine klare Mehrheit für die Einführung eines gemeinsamen, verpflichtenden Wertefachs. Die Grünen favorisieren dieses Modell seit vielen Jahren, inzwischen wird es auch von der PDS unterstützt. Die Sozialisten haben zum Werteunterricht ein eigenes Konzept erarbeitet, das sie morgen öffentlich vorstellen werden. Darin sprechen sie sich klar für einen gemeinsamen Unterricht aller SchülerInnen aus. Um ihn finanzieren zu können, will die PDS andere Stunden reduzieren und die Zuschüsse für die Religionsgemeinschaften kürzen. Sie sollen ihren Unterricht aber zusätzlich weiter anbieten können.
Ähnlich sehen es SPD und Grüne. Keine der Parteien will die Kirchen und Religionsgemeinschaften ganz aus der Schule vertreiben. Höchstwahrscheinlich werden sie aber weniger Geld bekommen. Bislang gibt das Land jährlich 46 Millionen Euro für diesen Unterricht aus. Der Protest der Kirchen ließ nicht auf sich warten: Umgehend nach den Versammlungen forderten sie die SPD-Kreisverbände auf, ihre Entscheidungen zurückzunehmen. Rechtlich aber scheinen die Kirchen in Berlin wenig Möglichkeiten zu haben. Denn aufgrund einer Sonderregelung im Grundgesetz („Bremer Klausel“) sollen hier, so sehen es mehrere juristische Gutachter, beide im SPD-Leitantrag aufgeführten Varianten rechtlich möglich zu sein.
Ob Werteunterricht bereits zum nächsten Schuljahr eingeführt wird, darf dennoch bezweifelt werden. Denn zahlreiche offene Fragen– wie die Finanzierung und ob man in der Ober- oder in der Grundschule mit dem neuen Fach beginnt – müssen noch geklärt werden. Der Bildungssenator will unterdessen die Frage der Abwahlmöglichkeit nicht als Sieg oder Niederlage verstanden wissen. Er halte zwar an seinem Vorschlag fest, sagte Böger gestern. Entscheidend aber sei, dass ein verbindlicher Unterricht eingeführt werde.