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Archiv-Artikel

Und die Scheibe … fällt!

Biathlon ist mittlerweile ein Quotengarant. Sowohl Frauen als auch Männer lassen sich von der Dramatik einer Sportart begeistern, die trotz Schusswaffen eine der fairsten und saubersten ist

VON JAN FEDDERSEN

90 Minuten sonntägliches Fernsehen als packender Wärmestrom, am Ende, aus Sicht deutscher Fans, war es sogar von einem Happy End gekrönt: Uschi Disl aus dem bayerischen Mosham gewann nach dem Sieg im biathletischen Sprint über 7,5 Kilometer auch das Verfolgungsrennen über 10 Kilometer. Anrührend schon, wie sie am Sonnabend bei der Siegerinnenehrung glücklich auf der obersten Stufe des Podests vor sich hin weinte. 15 Jahre tummelt sie sich in ihrer Sportart – gewann mehrmals Gold, bei Olympischen Spielen, bei Weltmeisterschaften. Aber nie als Solistin.

Biathlon – das ist für die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mittlerweile ein Quotengarant. Deutschland schaut zu, wenn es um diese Sportart geht. Und niemand, auch nicht aus dem notorisch zu Missverständnissen neigenden Pazifistenmilieu, echauffiert sich über diese Winterdisziplin, deren tragendes Element eben aus einem Kleinkalibergewehr besteht: Keiner käme auf die Idee, dass mit dieser Waffe auch Menschen niedergestreckt werden könnten. Sie dient ersichtlich nur dazu, aus großer Entfernung eine kleine Scheibe zu treffen, auf dass sie umfalle – im Fernsehen stets sehr schön zu sehen, wenn sie stehen bleibt.

Und Uschi Disl steht hierzulande wie keine andere für die Sympathie, die ihrem Sport angetragen wird: Eine kleine Frau aus dem Bayerischen, deren Sprachklang eben noch als Hochdeutsch zu erkennen ist. Macht ja nix: Im Fernsehen kommt es auf Bilder an – und die zeigen eine Athletin, die gerade in ihrer Anstrengung, in ihrer Mühe, in all dem Schweiß und den Tränen als schön und glamourös kenntlich wird. Biathlon ist die Sportart, in der die wenigsten Dopingfälle vermeldet werden – prominente Drogenkonsumenten sind überhaupt keine überliefert. Auch das mag als Indiz für das gewachsene Interesse genommen werden: Der Schnee signalisiert zwar ohnehin Sauberkeit, aber Biathlon und Doping sind nur schwer zu denken. Denn der Kick besteht gerade darin, dass selbst gute Läufer nicht ausgepumpt an den Schießstand kommen dürfen, weil sie sonst mit ihrem Puls nicht auf jenen Betriebsrhythmus kommen können, um zielgenau zu treffen. Verfehlen sie ihr Ziel, werden ihnen pro Fehltreffer eine 150 Meter lange Strafrunde (etwa je 25 Sekunden) aufgebrummt. Beide Elemente dieser Sportart sind dopingtechnisch nur schwer einzustellen.

Gerade Uschi Disl musste häufiger, als ihr lieb war, in ihrer 15-jährigen Karriere – ihr erstes Weltcuprennen gewann sie 1991 als 20-Jährige in Les Saisies – die Erfahrung machen, dass fulminante Laufleistungen am Schießstand wieder nivelliert werden: Die Uschi, wie ihre Fans sagen, war gerade deshalb bei Großereignissen wie Olympischen Spielen nie ganz die Beste. Dass sie nun am Wochenende gleich zwei Goldmedaillen errang, ist ihrem fast legendären Image nur zuträglich: Sportler, die erst am Ende an Meriten sammeln, was man ihnen seit langem zutraut, sind die echten HeldInnen.

ARD und ZDF konnten, dies gibt zu denken, keinen relevanten Quotenunterschied zwischen Männer- und Frauenbiathlonevents feststellen. Vielleicht ist das kein Wunder: Biathlon ist die Antidisziplin zu allen Sportarten, in denen Männer noch wie unter sich wirken. Fußball, Boxen oder Formel 1 beispielsweise. Dort ist von Streit, Konkurrenz und sonst wie testosteronhaftem Gehabe die Rede, von Hass, Kampf, Fertigmachen, Düpierungen, von Boxen- bzw. Ringludern. Biathlon ist frei davon – wie auch von Zickenduellen und Prinzessinnenhaftigkeiten im Eiskunstlaufen.

Rivalität ist – das gehört zur Natur des Sports – selbstverständlich im Spiel, aber keine Konkurrenz im prototödlichen Sinne: Ein Sieg ist ein Sieg und nichts mehr. Biathlon ist auch ein familiärer Sport, übrigens erst seit 1992 olympisch auch für Frauen, vor allem aber einer, so sagen die Quoten, für den sich Frauen stärker interessieren als für rein männliche Skispringen. Hierfür mag der Grund sein, dass die Szenerie weniger aggressiv wirkt – die Männer eher befreundet scheinen als bei Platzhirschsportarten wie der Formel 1. Verliebtheiten gibt es gar übernational: Der französische Spitzenbiathlet Raphael Poirée und die Norwegerin Liv-Grete Skjelbreid heirateten vor Jahren – ihr Kind nehmen sie, beide weiter für ihre Nationen startend, mit zu Wettkämpfen.

Uschi Disl wird die nächste Sportlerin des Jahres – mit dieser Auszeichnung wird sie gern zu den Olympischen Spielen 2006 nach Turin fahren. Dort abermals so passabel schießen und gewinnen: Es wäre die Krönung einer erst auf den zweiten Blick charismatischen Frau.