Gebühren selektieren : Lieber doppelt zahlen?
betr.: „Des Teufels Studiengebühr: Widersprüche nicht erlaubt“, taz vom 23. 2. 05
Es wäre der Diskussion sehr zuträglich, wenn diejenigen, die sich bemüßigt fühlen, darauf hinzuweisen, wie hoch die Gebühren für den Kindergartenbesuch sind, ehrlicherweise auch erwähnten, dass der Großteil dieser Gebühren vom Sozial- und Jugendamt getragen wird, wenn die Eltern wenig verdienen. Solange Ähnliches nicht auch für Studiengebühren gelten soll, hinkt der Vergleich also ziemlich.
Aber selbst wenn’s anders wäre: Was bringt es den Kindergartenbesuchern (beziehungsweise ihren Eltern), wenn Studiengebühren eingeführt werden? Wollen die alle später nicht studieren oder, wenn doch, lieber doppelt zahlen?
CAROLINE HELLER, Freiburg
Gebühren selektieren
Die unbestrittene Tatsache, dass das deutsche gegliederte Schulsystem wie kein anderes nach sozialer Herkunft selektiert, ist kein Argument für Studiengebühren. Mit Gebühren würde die Selektion nur weiter und zusätzlich verschärft. Die letzten verbliebenen Kinder aus sozial schwächeren Familien scheitern spätestens dann an der Gebührenhürde. Und die „Mittelschichtfamilien“ werden genau rechnen müssen, ob sie sich ein Studium ihres Sprösslings leisten können. Die ohnehin anfallenden Kosten von ca. 40.000 Euro (ohne Gebühren) bringen sie noch auf – mit Gebühren werden wohl viele das Handtuch werfen. Und die, die es sich leisten können, werden das auch locker mit Gebühren tun. An der sozialen Schieflage bei der Bildungsbeteiligung ändert das nichts – im Gegenteil. Wenn die „elitäre gesellschaftliche Creme“ stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls und damit auch zur Bildungsfinanzierung herangezogen werden soll – was notwendig ist –, muss das über ein gerechteres Steuersystem geschehen. MATTHIAS JÄHNE,
Hochschulreferent, GEW Berlin
Defensive Position
betr.: „Das Gebühren-Gespenst geht um“, taz vom 28. 2. 05
Auch ich finde, wie es in Ihrem Artikel dargelegt wird, dass sich die StudentInnen zurzeit in einer rein defensiven Position befinden. Bereits zu Beginn der Verhandlungen, als studentische VertreterInnen noch in die Diskussion um die Einführung der Studiengebühren einbezogen wurden, hätten sie die Möglichkeit gehabt, die Bedingungen für Studiengebühren erheblich mit zu gestalten. Indem sie jedoch auf der absoluten Ablehnung von Studiengebühren beharrten, sind sie heute aus dem Prozess vollständig ausgeschlossen. Dies kann und wird vermutlich dazu führen, dass Studiengebühren in voller Härte und nach den Bedingungen der Wirtschaft und Finanzpolitik durchgesetzt werden. Das wäre eine sehr beklagenswerte Entwicklung, da es sich bei Bildung tatsächlich nicht um eine typische Ware handelt. Besonders beunruhigt mich das schnelle Vorantreiben der Studiengebühren in einigen Bundesländern, ohne jedoch ein entsprechendes Finanzierungsmodell für StudentInnen auf die Beine zu stellen. Schalten sich die studentischen VertreterInnen hier nicht ein, wird die Einführung von Studiengebühren tatsächlich unsozial. M. LINKE
SONDEREGGER, Bremen
Alle Akademiker sollten zahlen
Auch die taz-Redaktion würde ganz schnell die Klappe halten, wenn alle Studiengebühren zahlen müssten, die studiert haben. Warum sollen fertige Akademiker eigentlich nichts zahlen?
HARTMUT BERNECKER
Bietigheim-Bissingen
Das kann nicht euer Ernst sein
Studiengebühren als Mittel zu mehr Selbstbestimmung, kritischem Diskurs und Gerechtigkeit? Das kann doch nicht euer Ernst sein! Der Anteil von Studierenden aus schwächeren sozialen Schichten an deutschen Unis ist zum Heulen gering (ich gehörte dieser Minderheit selbst an), und daran muss etwas geändert werden. Dazu ist eine Grundüberholung des antiquierten deutschen Bildungssystems notwendig, um zu verhindern, dass ein Großteil der Kinder mit 10 bis 11 Jahren zu bildungspolitischem Sondermüll erklärt wird. Garantiert kontraproduktiv hingegen wäre eine Einführung von Studiengebühren. Selbst wenn es gelingen sollte zu gewährleisten, dass niemandem aus Geldgründen der Uni-Eintritt verweigert wird, was meiner Meinung nach utopisch ist, ist die Signalwirkung selektiv genug. Ich selbst wäre wohl kaum Studentin geworden, wenn ich mich darauf hätte einstellen müssen, neben dem Gutdünken des Bafög-Amts auch noch auf die Gnade irgendwelcher studentischer Komitees angewiesen zu sein.
FRAUKE KEMPKA, Ogata/Japan
Unpolitische Streber
„Studiengebühren produzieren nur unpolitische Streber? Im Gegenteil – das Interesse an Hochschulpolitik wird steigen.“
1. Wenn das Studium Geld kostet, wird jeder versuchen, so kurz wie möglich zu studieren (zumal bei Langzeitstudenten ja sowieso schon wesentlich höhere Gebühren erhoben werden).2. Es liegt auf der Hand, dass jemand, der sein Studium möglichst schnell durchzieht, kaum Zeit hat, sich mit überfachlichen, universellen, philosophischen u. a. Zusammenhängen auseinander zu setzen. Außerdem sinkt das Durchschnittsalter der Studenten in so einem Fall merklich, was sich bei der Lebenserfahrung, aber auch beim Engagement bemerkbar macht. Ich selbst bin ehrenamtlich in studentischen Kreisen aktiv – und da zeigt sich, dass die so genannten Langzeitstudenten ganz einfach mehr „gebacken“ bekommen und einen anderen Background mitbringen als die jüngeren Semester (Ausnahmen bestätigen selbstredend die Regel).
Also: Studiengebühren produzieren in erster Linie unpolitische Streber. Schon allein weil hier das Studium als reine Jobausbildung interpretiert wird, die man auf dem Markt schnellstmöglich verwerten lassen soll. TAREK KHOURY, Köln
Mit Gebühren nicht studieren
Was ist mit der breiten Masse der Leute, die mit ihrem Einkommen gerade so klarkommen, also weder Ärzte noch Arbeiter sind wie in euren Beispielen? Wo bei den Eltern zu viel Einkommen für Bafög des Kinds vorhanden ist, aber zu wenig für Studiengebühren? „Jeder kann studieren, trotz Gebühren?“ Mensch, taz, wenn die Leute wegen Praxisgebühr nicht mehr zum Arzt gehen, gehen sie erst recht nicht studieren.
HILMAR FÜNNING, Berlin
Wer finanziert was und wen?
Mich wundert immer wieder, wie viele Menschen auf die angebliche Ungerechtigkeit hereinfallen, die darin liegen soll, dass die Arzthelferin das Studium des Arztsohnes mitfinanziert. Es scheint nur auf den ersten Blick eine Ungerechtigkeit zu sein, in Wirklichkeit fördert dieses Konzept die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft. Denn im Gegenzug wird Arztpapi darauf pfeifen, die Ansprüche der Krankenschwester und ihrer Kinder an die öffentlichen Kassen (Schule, Ausbildung, Rente, Krankheit, Sozialhilfe/Arbeitslosigkeit etc.) zu finanzieren. Stattdessen lieber gleich alles privat regeln, Steuersparmodelle in Anspruch nehmen oder Kapital ins Ausland bringen.
Tut er sowieso schon, wird jetzt mancher sagen. Richtig, aber hier sollte und müsste der Staat regulierend tätig werden, was er schon seit langem vernachlässigt. Wirklich gerecht wäre es, wenn die Studiengebühren einkommensabhängig erhoben werden würden. Dies wäre im Rahmen der Steuererklärung ohne großen Mehraufwand möglich. JENS TAMCKE
Rosengarten
taz-Modell birgt einen Fehler
Bereits der Ansatz des taz-Modells birgt einen Fehler in sich, der das ganze Modell als unschlüssig und widersprüchlich erscheinen lässt. Denn bei dem taz-Modell geht es ausschließlich um eine alternative Finanzierungsform der Hochschullandschaft und nicht um den Ausgleich sozialer Unterschiede.
Zwar ist nachvollziehbar, die momentane Finanzierungsform als unsozial zu bezeichnen, aber eine Erhebung von Studiengebühren führt nur zu einer Verlagerung des Problemzentrums. Ist es sozial gerecht, nur die Studenten, die in den Genuss universitärer Bildung kommen, für die Finanzierung ihres Studiums heranzuziehen, wenn dadurch sozial schwächere Familien verstärkt abgeschreckt werden, ihre Kinder studieren zu lassen?
Nein. Das taz-Modell würde an sich nicht zu einer stärkeren sozialen Gerechtigkeit führen. Mit einer gleichzeitigen Reform des Bafög-Systems, einer bundesweiten Hinwendung zu Gemeinschaftsschulen und gebührenfreien Kindergärten stellte es aber einen bedeutenden Beitrag zu einem modernen Bildungssystem dar.
JAN HUTTERER, Norderstedt
Studiengebühren sind ungerecht
„Studiengebühren sind ungerecht? Im Gegenteil: Sie führen zu mehr Gerechtigkeit.“
Studiengebühren sind und bleiben ungerecht. Das Argument der Putzfrau, die den Zahnarztsohn finanziert, verfängt nicht, da wir einen progressiv ansteigenden Steuersatz haben, womit also der/die akademisch Gebildete – wenn es so läuft, wie man sich das vorstellt – einen gut bezahlten Arbeitsplatz bekommt und damit auch mehr Steuern bezahlt, das in seine/ihre Ausbildung gesteckte Geld also wieder einbringt in den gesellschaftlichen Topf.
„Studiengebühren sind nicht zumutbar? Nein, jeder kann studieren – trotz Gebühren.“ Ich gehe völlig d’accord, dass die Studienfinanzierung auf andere Beine gestellt werden muss. Dafür sind aber – wie ihr selbst bemerkt – Studiengebühren völlig irrelevant. Ein von Eltern unabhängiges Bafög muss implementiert werden, sodass die Bundesrepublik von ihrem letzten Platz runterkommt, was den Einfluss des Bildungsstandards der Eltern auf den erreichten Abschluss der Studierenden betrifft. Das muss von Staats wegen geschehen: Die „Gebührenapologeten aus der Wirtschaft“ sind die, die auch noch nach gesenkten Steuern und steigenden Gewinnen leider Entlassungen vornehmen müssen, um absurde Vorstellungen der Shareholder zu befriedigen. Wenn diese an einem Stipendiennetz geknüpft sind, dann sicher sehr einseitig, was die geförderten Studienrichtungen angeht. GERALD JURASINSKI,
Bayreuth
Gegen Kürzungen der Etats?
Die taz möchte die Hochschulen mit Verträgen gegen Kürzungen der Etats wappnen? Leider ist klar, wie in Bayern das Rennen des taz-Hasen gegen die Igel Goppel und Faltlhauser ausgehen wird: Die Etatkürzungen sind bereits wirksam (Mai 2004), sodass dieser Vertrag bei der Einführung von Studiengebühren 2006 vermutlich ohne Probleme zustande käme. Daran, dass die Gebühren bei den Hochschulen das bereits entstandene Finanzierungsloch stopfen werden, ändert er nichts. V. SCHARF, Lauf
Das Schweigen der Altlinken
betr.: „Gebührenfreies Studium ist Träumerei“, taz vom 3. 3. 05
Selbstverständlich ist ein gebührenfreies Studium keine Träumerei, sonst würde es in Skandinavien nicht so erfolgreich funktionieren. Dass die politische Linke ihren nunmehr über 20 Jahre andauernden ideologischen Tiefschlaf beendet und endlich eigene, wirklichkeitsnahe Denkmodelle entwickelt, ist hingegen dringlicher denn je. Erst das Schweigen der (Alt-)Linken hat die Verfechter einer freien Marktwirtschaft in Deutschland so richtig stark gemacht. Diskussionen über Studiengebühren hätte es wahrscheinlich nie gegeben, wenn jemand darauf hingewiesen hätte, dass es zwischen der Anzahl der Nutzer öffentlicher Bildungsangebote und dem wirtschaftlichen Wachstum einen signifikanten Zusammenhang gibt!
RASMUS PH. HELT, Hamburg
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