Willig, aber unfähig

Bei der Hälfte der Paare, die kein Kind kriegen, liegt es am Mann. Frauen nehmen das selten hin

VON COSIMA SCHMITT

Sie haben Schwänze, die nicht zappeln. Ihre Körper: Krüppel. Im Licht der Mikroskope offenbaren sie, warum Mann sich vergebens müht: Schlaffe Spermien, die es nie bis zur Eizelle schaffen, sind Alltag in deutschen Betten. „Immer mehr Männer können auf gängigem Weg keine Kinder zeugen. Aber darüber schweigt sich unsere Gesellschaft aus“, sagt der Bremer Frauenarzt Clas Clasing.

Er wertet das als Folge eines tradierten Klischees: Der Mann ist allzeit willig, allzeit fähig, notfalls steht er noch als Greis im Kreißsaal. Ein Irrtum mit weitreichenden Folgen: „Ein Mann ist über die Diagnose ‚unfruchtbar‘ sehr viel überraschter als eine Frau“, sagt Clasing. „Denn damit rechnet ja keiner. Das ist als Möglichkeit gar nicht präsent. Nicht in der Öffentlichkeit, nicht in den Familien. Und schon gar nicht im männlichen Selbstbild.“

Medizinisch ist das nicht zu rechtfertigen. Bei fast der Hälfte der Paare, die unfreiwillig zu zweit bleiben, liegt es an ihm – Tendenz steigend. Stress, zu viel Bier und Zigaretten, Umweltgifte oder Chromosomendefekte lassen die Manneskraft schwinden. Zwischen 1940 und 1990 hat sich die Spermienzahl im Ejakulat halbiert, hat eine dänische Studie ermittelt. Was die Samenflaute aber im Seelenleben anrichtet, ist noch kaum erforscht. In einem immerhin sind sich Therapeuten, Ärzte und Sexualberater einig: Hier geht es um mehr als um die Angst, ohne Stammhalter zu altern. „Er fühlt sich entmannt“, sagt Clasing. „Nur wer zeugen kann, ist auch potent. So denkt doch jeder Mann.“

Überhaupt gelten Frauen als besser gerüstet gegen die Tücken des Geschlechts. Wenn das Teenager-Mädchen zum ersten Mal auf dem gynäkologischen Stuhl liegt, ahnt es: Mein Unterleib ist labil, er kann krank sein oder anormal. Anders der Mann, sagt Clasing: „Er erlebt ja: Da kommt was raus aus dem Penis. Er kommt gar nicht auf die Idee, dass da was nicht stimmt.“

Eines Besseren belehrt, steht Mann dann alleine da mit seiner Erkenntnis. Die Spermienflaute als Thema in der Skatrunde oder Gemeinschaftsdusche – das ist ein Tabu, so Bernhard Meyer, Sozialpädagoge bei Pro Familia in Freiburg: „Sie können als Mann nicht einfach in Ihren Sportverein gehen und erzählen: Übrigens, ich kann kein Kind zeugen. Dann sind Sie in der Männerwelt unten durch.“ Frauen dürfen sich wenigstens bei der Freundin ausweinen.

Doch auch Männer können auf eine verständnisvolle Partnerin hoffen. Das ist zumindest die Erfahrung der Berliner Paartherapeutin Anna-Elisabeth Bauermann. Immer wieder hat sie festgestellt: Eine Frau tut sich leichter, die Unfruchtbarkeit ihres Mannes zu akzeptieren, als umgekehrt er die ihre – obwohl sie meist den stärkeren Kinderwunsch hat. „Da wirken offenbar uralte Biologismen. Nur eine gebärfähige Frau gilt Männern als begehrenswert.“

Der Mann ist also der Gewinner, selbst wenn seine Spermien versagen? So uneingeschränkt mögen Fachleute das nicht bejahen. Schließlich verschiebt die Diagnose „schlechte Spermien“ das Machtgefüge zugunsten der Frau. „Die Männer sitzen dann am kürzeren Hebel. Sie fühlen sich ausgeliefert“, sagt Clasing. Es ist die Frau, der sich nun ein Spektrum der Möglichkeiten offenbart: Ein neuer Mann? Eine Nacht im fremden Bett? Eine Ampulle Fremdsperma? Oder die Tortur in der Fertilitätspraxis – weil ein Labor schaffen könnte, was der Natur misslingt? Immerhin glückt immer häufiger die Zeugung in der Petrischale. Seit etwa zehn Jahren können Ärzte selbst Männer zu Vätern machen, die nur missgebildete Spermien in sich tragen – indem sie das männliche Erbgut direkt in die Eizelle spritzen.

Scheitert auch dies, droht die Paarkrise. Frauen sind hartnäckiger, wenn es um das Doch-noch-Kinder-Haben geht, sagt Meyer. „Sie setzen sich keine Deadline. Sie versuchen es immer wieder. Männer geben schneller auf. Das belastet die Liebe enorm.“ Der Mann versteht nicht, warum sie den Sinn des Lebens – nach Jahren im Hörsaal und Büro – auf einmal allein im Muttersein sieht. Die Frau versteht nicht, dass er die Baustelle Baby achselzuckend verlässt und sein Ego im Chefsessel auffrischt. Meyer sieht hierin einen Härtetest fürs Partnerglück: „Kein Kind – das ist die größere Herausforderung für ein Liebespaar.“