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Archiv-Artikel

Weltkulturerbe Oma

DENKMALSCHUTZ Überraschender Neuzugang auf Kulturgüterliste

Als Weltkulturerbe ist Pflege und Erhalt der Oma nun eine nationale Aufgabe

Die Oma ist jetzt Weltkulturerbe, sagt die Oma, und es stimmt auch noch. Gerade kam es im Fernsehen, sie haben das Wattenmeer und die Oma auf die Liste gesetzt. Ich nehme die Wahl an, sagt die Oma und fischt sich noch eine Schnapspraline aus dem Körbchen. Ihr Arzt ist dagegen, aber der ist auch gegen Schnapspralinen, und schon deswegen hört die Oma nicht auf den Arzt. Sie hat eh nie auf jemanden gehört, von ihrem Mann mal abgesehen, aber der war ein Heiliger, behauptet die Oma, und ist nach zwei Monaten Ehe in Stalingrad verschollen. Die andere Oma sagt, das wundert sie nun überhaupt nicht. Und die muss es ja wissen, ihrer ist ja auch gleich da geblieben.

Die polnische Pflegerin steckt der Oma ein Kissen in den Rücken, weil sie wieder umzufallen droht. Die Oma und ihre polnische Pflegerin kommen aus demselben schlesischen Kaff, von dem die Oma behauptet, es sei das Paradies gewesen, bis der Russe gekommen ist, aber die Pflegerin sagt, dass es dort schon immer scheiße gewesen sei und die Deutschen froh sein sollen, dass sie rausdurften. Dann zeigt die Pflegerin Fotos vom Haus, das sie gerade dort gekauft hat.

Jetzt müsst ihr alle tun, was die Oma sagt, freut sich die Oma, aber das ist nichts Neues, sondern war schon immer so. Die Oma ist sehr dick und überhaupt ziemlich gefährlich. Sie hätte damals locker die Rote Armee in die Flucht brüllen können, behauptet die andere Oma, aber das ist Quatsch, denn sonst wäre die Oma Chef hinter dem Eisernen Vorhang geworden, stattdessen ist sie aber bei uns zu Hause einmarschiert. Nach dem Krieg hat sie dort alles alleine wieder aufgebaut. Mit bloßen Händen, sagt sie immer, und so sieht es auch aus, besonders in der Innenstadt.

Die Mauer ist jetzt schon lange weg, aber die Oma haben sie stehen lassen, wahrscheinlich als Mahnmal gegen Vertreibung, und jetzt ist sie auch noch Weltkulturerbe geworden. Immerhin ist Pflege und Erhalt der Oma nun eine nationale Aufgabe, wir sind endlich aus dem Schneider und die Oma kann sich auch mal woanders beschweren. Aber was ist, wenn die Oma eine neue Brücke braucht, wird sie dann wieder von der Liste gestrichen und muss ins Heim?

Die Oma braucht keine Brücke, sagt die Oma, sie hat ein Gebiss und das steht unter Denkmalschutz. Genauso wie die Kittelschürze, der Telefonüberzug und der Boiler mit Bakelitverkleidung. Das steht alles unter Denkmalschutz, erzählt die Oma ihrem Vermieter, deswegen darf da nichts dran geändert werden. Bloß der Dackel ist irgendwann trotzdem gestorben. Aber das mag die Oma nicht zugeben und ruft weiter nach ihm.

Vor dem Heim hat die Oma auch keine Angst, eher haben sie dort Angst vor ihr, besonders die Zivildienstleistenden. Weil es nämlich durch die Bank Kommunisten sind, sagt die Oma.

Die Oma fordert im Namen der Weltkultur neue Schnapspralinen und klagt über ihr schlimmes Bein. Sie will das schlimme Bein von der Liste streichen lassen, und wir sollen deswegen bei der Unesco anrufen, aber es geht keiner ran. Früher hätt’s das nicht gegeben, belfert die Oma und beschließt, dass die Menschheit ihre Kultur doch lieber alleine machen soll. CHRISTIAN BARTEL